Erinnerung
an den Beginn des 1. Weltkrieges 1914
1914: Anfang einer Geschichte, die immer noch nicht
beendet ist
von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait Juristin und Diplomatin a.D.
Im
Leitartikel der Süddeutschen Zeitung (11.1.14) "Das Gedenkjahr 1914, 1939,
1989" von Franziska Augstein ist der Bezug auf das Attentat gegen den
österreichischen Thronfolger Ferdinand im Juni 1914, was den Ersten Weltkrieg
betrifft, fehl am Platz. Franziska Augstein hätte sich diese Referenz ersparen sollen,
denn es handelte sich damit um einen Kriegsvorwand. Hätte Ferdinand damals kein
Spaziergang mit seiner Frau gemacht, hätte es also kein Attentat gegeben,
hätten die Planer des Krieges einen anderen Vorwand gesucht und gefunden, um
ihre lang geplante und gewollte Aggression durchzuführen, denn der Krieg, der
zum Ersten Weltkrieg wurde, war von einer bestimmten kleinen Clique in Berlin
geplant, gewollt und entschieden.
Es handelt
sich um einen Tatbestand, der noch immer im Magen der Deutschen liegt,
unverdauter denn je, wie Sebastian Haffner im Vorwort seines kompakten Buches
"Die Sieben Todsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg"
richtig bemerkt. Sebastian Haffner geht mit den Deutschen, besser gesagt mit
der westdeutschen Machtclique ins Gericht. Er wirft ihr vor, sich niemals mit
der Wahrheit konfrontieren zu wollen. Diese Machtclique weigere sich, die
wiederholte Schuld anzuerkennen, und zwar nicht nur für den Ausbruch des
Ersten, sondern auch für den Zweiten Weltkrieg. Danach praktizierten sie weiter
dieselbe Aggressionspolitik. Kurzum: Diese Aggressions- und Expansionspolitik
ist dieselbe geblieben, denn auch die westdeutschen Nachfolger jener alten
vermögenden Familien, ihrer Günstlinge und Bewunderer haben sich mit den
zwei krassen Niederlagen nie abgefunden und glauben immer noch, die
fehlgeschlagene, auf militärischer Stärke basierende Politik besser und
erfolgreich führen zu können - siehe die verteidigungspolitischen Richtlinien
-, anstatt eine Friedenspolitik zu betreiben. Eine Friedenspolitik hat zunächst
in Bonn und dann in Berlin noch nie wirklich stattgefunden.
Infolgedessen
ist bei der Kette von 1914 bis 1939, weiter zur NATO-Aggression 1998/99 gegen
Belgrad und zur aktuellen Aggression gegen Syrien derselbe verhängnisvolle Ungeist
erkennbar. 1989 hat damit gar nichts zu tun. Zwar verabschiedeten Michail
Gorbatschow und Helmut Kohl eine gemeinsame Erklärung (13.Juni 1989), alle
Völker hätten das Recht, "ihr Schicksal frei zu bestimmen", diese
Erklärung blieb aber nicht nur unerfüllt, sondern absolut missachtet. Die
SZ-Leitartiklerin müsste es eigentlich wissen: Bei der deutschen Einheit
handelte es sich um eine Zwangseinheit nach US-amerikanischem Gusto. Franziska
Augstein sollte das wahrnehmen, konkret die Erpressung, mit der der
US-amerikanische Außenminister James Baker die Regierung von Helmut Kohl von
Anfang an unter Druck setzte, als die USA das Verbleiben Deutschlands in der
NATO als Bedingung für die deutsche Einheit verlangten. Dafür beeilte sich der
damalige US-Außenminister James Baker nach Berlin zu fliegen, gleich am
folgenden Tag nach der Berliner Grenzöffnung (9.11.1989).
Die
Demonstrationen in der DDR hatten nicht den Umsturz des DDR-Staates zum Ziel,
sondern lediglich, Reformen zu bekommen. Aber die reaktionäre BRD-Clique, die
sich nie mit einem antifaschistischen deutschen Staat im Herzen Europas
abgefunden hatte, sah bei den Demonstrationen die Chance, die DDR zu zerstören
und sich einzuverleiben.
Dass
deutsche Regierungen dem deutschen Volk nicht vertrauen und es bei wichtigen
Angelegenheiten übergehen, ist ein Problem Deutschlands. Nicht einmal heute -
nicht einmal jetzt in Anbetracht weiter bestehender ausländischer militärischer
Einrichtungen auf deutschem Territorium, massiver Ausspähaktivitäten und militärischer
Aggressionshandlungen ausländischer Mächte von diesem Territorium aus, ist
Berlin bereit, dem Land eine gesamtdeutsche Verfassung per Volksabstimmung
gemäß des Art.146 des Grundgesetzes zuzubilligen, wobei die volle
Unabhängigkeit des Landes von einem fremden Diktat zu erlangen wäre, gemäß dem
Grundgedanken des Selbstbestimmungsrechts von US-Präsident Woodrow Wilson.
Dabei ist bezeichnend, wie gerade die britische Presse schon vor längerer Zeit
darauf aufmerksam machte, dass keine anderen als deutsche Regierungen mit ihrem
eigenen Volk derart arrogant herablassend umgingen, als wäre es für das
Beurteilen von Politik zu dumm. In der Tat manifestiert sich das Gegenteil: Es
ist nicht die deutsche Bevölkerung, sondern es sind deutsche Regierungen und Politiker,
die sich immer wieder als dumm entlarven. Die damaligen Verantwortlichen Helmut
Kohl und Hans-Dietrich Genscher müssen vom Bundestag befragt werden, was sie
hinter dem Rücken des deutschen Volkes mit den USA hinter verschlossenen Türen
abgemacht haben und was nicht. Alle Defizite der Einheit Deutschlands sind
umgehend zu beseitigen. Eine endgültige Verfassung nach dem Art.146 des
Grundgesetz ist durch eine Volksabstimmung frei und souverän zu verabschieden,
ohne jede zwanghafte Bindung an eine fremde Macht, die das Recht auf
Selbstbestimmung, das in der UN-Charta (Art.55) verankert ist, beeinträchtigt.
Das sollte auch Franziska Augstein beherzigen, wenn sie es mit dem von ihr
angeführten neuen Freiheitskonzept von Woodrow Wilson und dem Selbstbestimmungsrecht
der Völker wirklich ernst meint.
Allerdings
erlag Präsident Woodrow Wilson einer Täuschung. Er hat sich, was Deutschland
betrifft, grundsätzlich geirrt. Während der monatelangen Diskussionen bei der
Pariser Konferenz vor dem Versailles-Vertrag kam er zu der Überzeugung, dass
sich Deutschland als Mitglied des Völkerbundes ändern werde, den er als Säule
für den Weltfrieden förderte, um zukünftige Aggressionen zu verhindern. Es war
eine normale Überlegung von einem gut gesinnten normalen amerikanischen
Staatsmann. Aber was Deutschland betrifft, hat es niemals den Weg zur
Normalität gefunden. Deutschland blieb ein Sonderfall. Alte Legenden leben
weiter, auch zur Kriegsverantwortung, um die Niederlage nicht zu akzeptieren.
Es handelt sich um den Anfang einer Geschichte, die immer noch nicht beendet
ist. Mit dem Ersten Weltkrieg beginnt der Prozess der deutschen
Selbstzerstörung, der immer noch im Gang ist. Sebastian Haffner ist präzis:
Seitdem begann Deutschland die Fehler zu begehen, die seine Position in der
Welt degradiert hat, Fehler, die seine Führungseliten heute weiter begehen.
Franziska Augstein könnte aus dem Vorwort des Buches von Sebastian Haffner viel
lernen und endlich beginnen, diese andauernde vernichtende deutsche
Kriegspolitik an den Pranger zu stellen. Das wäre ihre Pflicht als aufgeklärte
Journalistin, die sich die Freiheit dazu nimmt und nutzt.
Der Irrtum
von US-Präsident Woodrow Wilson hat sich doppelt erwiesen. Deutschland
respektierte weder die Grundsätze des Völkerbundes noch heute die Grundsätze
der Vereinten Nationen als Fundament für den Weltfrieden, nicht einmal sein
eigenes Grundgesetz. Weil Berlin nichts vom Frieden versteht, sondern vom
Krieg. Die SZ-Redaktion mit der ehrenvollen Ausnahme von Heribert Prantl bietet
sich als bellizistischer Chorus dar, wenn sie diese verheerende deutsche
Außenpolitik, die den Völkern böses antut, verherrlicht.
Aber es
gibt, und es gab aufmerksame Beobachter. So Frankreichs Premierminister Georges
Clemenceau, der bei der Pariser Konferenz 1918 den fehlenden Realismus von
Präsident Wilson erkannte. Vom Misstrauen gegenüber Deutschland tief geprägt
erreichte Clemenceau, dass der Vertrag von Versailles (1919) nicht nur den
Aggressor festschrieb, sondern auch die Einnahme von Berlin betrachtete, um Deutschland
schon damals unter starke Kontrolle zu bringen. Dieser Schritt wurde aber
vernachlässigt. Wäre es damals dazu gekommen, hätte sich Europa so den Zweiten
Weltkrieg vielleicht erspart.