BRD Bundesgerichtshof : Grundsatzurteil über Demonstrationsverbot

darf nicht gesprochen werden !

 

1. Brief des Arbeiterpfarrers Christian Herwartz :

Liebe Mitmenschen,

seit vier Jahren beantragen wir - Ordensleute gegen Ausgrenzung - immer wieder eine Mahnwache vor dem im Sommer 2012 überflüssigerweise eröffneten Abschiebegefängnis auf dem Berliner Flughafen in Schönefeld.
Dort sollen Fluggäste aus Übersee inhaftiert werden, deren Ausweispapiere nicht vollständig sind.
In einem Schnellverfahren, bei dem mehrere juristische Standards wegfallen, können sie ohne Hilfe in einer fremden Sprache Asyl beantragen. Darüber soll innerhalb von drei Wochen einschließlich einer Einspruchsfrist entschieden sein.
Bei der Eröffnung war ich dabei und habe die Kinderrutsche im Freigangbereich und das winzige Spielzimmer mit dem einen Spiel "Mensch ärgere Dich nicht" gesehen.

Vor diesem Gefängnis haben wir dann für den 3.10.12 eine Mahnwache angemeldet, wie wir es seit 20 Jahren vor dem Abschiebegefängnis in Berlin-Köpenick tun. Das Gebäude liegt gegenüber dem Luftfrachtzentrum.
Die Flughafengesellschaft hat uns den Zugang verweigert.
Das Verwaltungsgericht in Cottbus, das Amtsgericht in Königs Wusterhausen und das Landgericht in Cottbus haben unsere Klage abgewiesen und uns an den Bundesgerichtshof verwiesen.
Der Prozesstermin in Karlsruhe ist auf den 26. Juni 15 um 9 Uhr festgelegt.

Auskünfte zum Prozessanliegen finden sich unter https://flughafenverfahren.wordpress.com/

Nun unsere Bitte

Weist auf den Termin hin - besonders wo Ihr Zugang zur Presse usw. habt.
Setzt einen Link auf eure Webseite oder auf eure Mails und diskutiert die Anliegen.

Der Prozess deckt die Verantwortungsverschleierung des Staates auf, dem der Grund und Boden gehört. Doch das Hausrecht übergab er einer privaten Flughafengesellschaft. Deshalb müssen wir für eine Mahnwache vor der Haftanstalt ein privatrechtlichen Prozess führen. Der Staat versteckt seine Verantwortung ähnlich wie Großfirmen bei Auslagerungen ihrer Fertigung z.B. ins Ausland.

In der Hoffnung auf einen positiven Gerichtsentscheid ist die nächste Mahnwache angemeldet für
Samstag den 3. Oktober 2015 um 15 Uhr.

Herzliche Grüße
Christian Herwartz

 

2. Brief des Arbeiterpfarrers Christian Herwartz :

 

Liebe UnterstützerInnen,

lange wollte ich es noch nicht recht glauben: Der Widerspruch gegen das Verbot einer Mahnwache auf dem von der Flughafengesellschaft verwalteten Gelände in Berlin-Schönefeld musste durch alle Instanzen gehen: Verwaltungsgericht Cottbus, Amtsgericht König-Wusterhausen, Landgericht Cottbus, Bundesgerichtshof. Der 2012 geschriebene Brief der Flughafengesellschaft – 100prozentig im Besitz der öffentlichen Hand – war eine Frechheit: Wehret den Anfängen, schrieben sie. Vielleicht nachvollziehbar, wenn es wirklich ihr Privatgelände wäre. Aber dieser Besitzanspruch war völlig überzogen, den Zugang zu dem 2012 eröffneten Gefängnis im Auftrag der Regierung zu verweigern. Dieses hoheitliche Handeln unterliegt der öffentlichen Kontrolle und kann nicht privatisiert werden.

Als Bürger muss ich hinsehen dürfen, welche Freiheitsberaubung dort in unserem Namen geschieht. Und als Gläubiger möchte ich mit Blick auf diesen Ort des Unrechts mich zu den davon betroffenen Menschen stellen, meditierend die Situation wahrnehmen, mich betreffen lassen und dann unsere Not betend vor den Ursprung des Lebens tragen. Die dann hoffentlich einsetzende Lebensveränderung nehmen wir mit und sie lässt uns auch in unserem Alltag deutlicher die das Unrecht tragenden Verhaltensweisen und Strukturen erkennen. Diesen Zusammenhang haben wir bei den regelmäßigen Mahnwachen vor der Abschiebehaft in Berlin-Köpenick in den letzten 20 Jahren deutlich bemerkt.

Obwohl es schon 2011 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gab, das Demonstrationen "auf dem Privatgelände des Flughafens" erlaubt, nämlich im Abfertigungsgebäude mit dem vielfältigen kommerzielle Angebot, unterstützten die beiden unteren Gerichte die Auffassung der Flughafengesellschaft und bestätigten das Verbot der Mahnwache vor der Haftanstalt. Engagierte aus Frankfurt hatten acht Jahre prozessiert. Sollte es jetzt wieder so lange dauern? Ich stellte mich darauf ein. Jetzt war der Alptraum plötzlich nach drei Jahren zu Ende.

Dafür bin ich den RichterInnen des Bundesgerichtshofs dankbar und auch Eurer Unterstützung.

Wie kam es zu der Wende? Der Obersatz in den ersten Richtersprüchen lautete: Römisches Forum, auf dem man flanieren kann. Dort ist der Ort, wo politische Meinung geäußert werden kann. Das Industriegelände, auf dem das Abschiebegewahrsam liegt, erfüllt diese Bedingungen nicht. Dort ist es nicht so schön, wie in den Kaffees der Abfertigungshalle. Der BGH benutzte den Obersatz: Straßenland. Das Gelände ist nämlich frei zugänglich mit vielen öffentlich genutzten Büros usw., also öffentlichem Straßenland vergleichbar. Sofort war das Verbot in seiner Lächerlichkeit enttarnt.

Das Urteil macht jetzt endlich den Weg frei, auch an anderen Orten in unserer immer mehr privat angeeigneten Welt öffentlich hinsehen zu dürfen und die Auslagerungen der Ursprungsverantwortung offen zu legen: dies gilt in der Privatwirtschaft, wenn Aufträge ausgelagert – also nur noch eingekauft und damit in ihrer Herstellung und Zusammensetzung nicht mehr verantwortet – werden, wie im staatlichen Bereich, der schlanker werden will und die Politiker sogar hoheitliche Bereiche privatisieren lassen. Dieses "Wundermittel" der scheinbaren öffentlichen Sparsamkeit belebt die "kostengünstig über Leichen gehende" Privatwirtschaft und stößt nun an seine Grenzen, wie nun durch dieses Urteil wider die Vertuschung deutlich wurde.
Dank den Richtern beim BGH.

Ihr Urteil liegt noch nicht schriftlich vor. Ich werde es zugänglich machen auf dem Blog
flughafenverfahren.wordpress.com und auch einige Zeitungsberichte und Kommentare.

Ich freue mich über das aufmerksame Hinsehen und Handeln auch anderswo. Gelegenheiten bieten sich ausreichend.


Christian Herwartz