Friedensbewegung : Aggression für den Frieden ?

 

*Aggression für den Frieden?**

**Stopp, Leute!**

**Haltet ein, atmet durch. **

**Und dann besinnt euch auf das, was wichtig ist.*

 

1.    Monitor (ARD), 9. April 2015, ein Bericht über die akute Bedrohung

durch einen Atomkrieg. Ein Weckruf. Und was macht die Friedensbewegung,

falls ein solches Etikett überhaupt noch zeitgemäß ist? Persönliche

Anfeindungen, Zersplitterung, mehr Gegen- als Miteinander. In einer

Zeit, in der die menschen- und naturvernichtenden Strategien der

politischen und ökonomischen Global Player apokalyptisch werden,

gefallen sich viele Protagonisten des potenziellen Widerstandes in

rechthaberischen, eitlen, polemischen Posen, statt ihre intellektuellen

und aktiven Ressourcen zum Aufbau einer so dringend notwendigen

Gegenbewegung zusammenzutragen.

2.    Die Tendenz dieser verbalen Fehden, die an Umfang und Schärfe

erschreckend zugenommen haben, ist selbstzerstörerisch. Ein Symptom

dieser autoaggressiven Verhaltensmuster ist die kriegerische Sprache

da wird bekämpft, beschimpft, als infam diskreditiert, feindselig aus-

und abgegrenzt, auch schon mal erpresst und diffamiert, gegenseitig

niedergemacht, auf versöhnliche oder deeskalierende Einwände abwehrend

reagiert. Was im letzten Halbjahr eher eine Spezialität von taz & Co.

war, fährt jetzt, als verbale Schlammschlacht, jede friedenspolitische

Absicht ad absurdum.

3.    Die letzten Monate, maßgeblich der Friedenswinter, waren eine

schwierige Zeit. Das Austarieren der friedenspolitischen Gewichte von

Friedens- und Mahnwachenbewegung brachte unvorhersehbare, oft sehr

spontan entstehende Problem- und Fragekonstellationen mit sich. Über sie

wurde zunächst, manchmal hart am Rande des polemischen Keulenschwingens,

aber insgesamt intensiv und argumentativ diskutiert. Rückblickend wäre

die vernünftigste und produktivste Einschätzung, von einem notwendigen

Reinigungsprozess zu sprechen, dessen Ergebnis unmissverständlich

lautet: Faschistische, rassistische, antisemitische, nationalistische

Einstellungen sind in ihrem Kern kriegerisch bzw. gewalttätig und

deshalb mit einer Bewegung für den Frieden unvereinbar.

4.    Die Mainstream-Medien stehen mit wenigen Ausnahmen

friedenspolitischen Aktivitäten nicht nur nicht unterstützend, sondern

geradezu feindlich gegenüber. Dieser Zustand ist ernüchternd und

muss erst einmal verarbeitet werden, auch als Ausdruck der Schwäche der

Friedensbewegung, die kaum noch über konservative

Öffentlichkeitswirksame Möglichkeiten verfügt und noch nicht hinreichend

über effektive andere, etwa digitale Kommunikationskanäle. Ohne

kommunikativen bzw. medialen Zugang zu den Menschen, die erreicht werden

sollen, läuft eine Bewegung, die massenhaft werden will und werden muss,

Gefahr, sich selbst auszubremsen.

5.    Die friedenspolitische Bewegung zeigt in den letzten Monaten eine

soziale Dynamik, die mehr an einen Kegelclub als an einen politisch

brisanten Zusammenschluss von engagierten und kä¤mpferischen Menschen

denken lässt. Es scheint ganz gut funktionierende innere Kerne von

Leuten zu geben, die sich gut kennen, sich immer wieder ihrer

gegenseitigen Sympathie und ihres Konsens in Bezug auf Meinungen und

Vorstellungen versichern. Diese Kerne grenzen sich gleich doppelt ab:

aktiv und aggressiv gegen die anderen als vermeintliche Störenfriede und

Feindbilder einerseits, passiv und ignorant gegen Diskussionsbeiträge,

die den Kernmeinungen nicht willkommen sind, andererseits.

6.    Die Gruppen grenzen sich nicht argumentativ, sondern pauschal,

rechthaberisch bis unversöhnlich gegenseitig aus: Wer Jebsen sieht, wer

bei Mährholz nachliest, wer Schädel zuhört oder Trautvetter oder Braun,

Wächter usw., findet viele kluge, nachdenkliche, analytisch und

politisch sinnvolle Ãerungen, die statt exkommunizierender

Abwehrreflexe eine produktive Auseinandersetzung geradezu aufdrängen.

Zugleich werden die mit Nichtbeachtung gestraft, die gegen den

destruktiven Sog anschwimmen und sich um sachliche Diskussion und

inhaltliche Diskurse bemühen und immer wieder darauf hinweisen, dass

ihre Stellungnahmen nicht zur Kenntnis genommen werden. Beide

Umgangsformen sind unproduktiv, weil sie nicht nur engagierten Menschen

nicht gerecht werden, sondern auch bereichernde und zielführende Ideen

und Vorstellungen im Nichts von diffuser Ablehnung und borniertem

Desinteresse versanden lassen, auf die aber ist eine politische

Bewegung, die nicht im eigenen Saft vor sich hintümpeln will, angewiesen.

7.    Beide Ausgrenzungsmuster verhindern eine inhaltliche

Weiterentwicklung der Friedensbewegung. "Bewegung" bedeutet, sich

zeitgemäß zu verändern, um den historischen Herausforderungen gewachsen

zu sein. Mein eigener Beitrag "Frieden für alle" etwa zielte auf uns

alle in unserer widersprüchlichen bigotten Haltung - um eine

besserwisserische Bestimmung dessen, was antikapitalistisch ist, ging es

nicht, aber um die Aufforderung, die strukturellen, systemischen

Hintergründe von Krieg und Elend in den Blick zu nehmen, sich der alles

Leben bedrohenden Verschmelzung von Politik, Kapital und Militär zu

stellen. Es war ein Versuch, die inhaltliche Debatte zu beleben. Zur

indirekten Antwort eines Mitstreiters, die Friedensbewegung sollte sich

auf eine antimilitaristische Haltung konzentrieren, gibt es eine

indirekte Meinung des auch von mir sehr geschätzten Erich Fried:

 

/*Ein Unterschied*/

 

/Ein Faschist//

//der nicht sehr viel //

//mehr ist//

//als ein Faschist//

//ist//

//vielleicht ein Faschist.//

//

//Aber ein Antifaschist//

//der nicht sehr viel //

//mehr ist//

//als ein Antifaschist//

//ist//

//vielleicht //

//kein Antifaschist./

 

Übertragbar auch auf Antimilitaristen und Antikriegsaktivisten. Erich

Fried war ein entschiedener Antikapitalist.

8.    Es zeigt sich in vielen Meinungsäußerungen zur Friedensbewegung

und ihren Differenzen und Divergenzen wenig Bereitschaft, sich auf eine

leidenschaftliche, sachliche und politisch zielführende Debatte

einzulassen. Ohne sie aber, auch das ist eine Lehre aus den Ereignissen

nicht nur der letzten Monate, sondern der Geschichte sein, wird es

keinen wirkungsvollen weil fundierten und zielsicheren Widerstand geben.

Exemplarisch lässt sich diese Notwendigkeit an den Aktionskonferenzen

vom 14. März und vom Herbst letzten Jahres verdeutlichen: Ohne eine

klare Strategie, ohne ein von allen AktivistInnen gemeinsam getragenes

Handlungskonzept, geht Aktion das Risiko ein, zum Aktionismus zu werden.

Dass diese dynamische Strategiedebatte der Friedensbewegung fehlt, ist

ihre eklatanteste Schwäche.

9.    Eine politische Bewegung, die gegen die politisch, ökonomisch und

militärisch Mächtigen und ihre Vasallen gerichtet ist, muss sich bewusst

sein, dass sie im Visier von Verfassungsschutz und anderen

Nachrichtendiensten steht, dass es Spitzel gibt und Provokateure, dass

Zersetzungs- und Desinfomationsversuche sie infiltrieren. Es wäre naiv,

abwehrend zu meinen, eine solche Feststellung laufe auf

böswillige Verdächtigungen hinaus, egal, wie damit umgegangen wird,

Bespitzelung und Unterwanderung sind alltägliche geheimdienstliche

Methoden gegen jede unliebsame Gruppe oder Organisation. Gegen solche

Störmanöver, wie immer sie sich bemerkbar machen oder auch nicht, hilft

nur eine klare Strategie, eine Gewissheit darüber, gegen wen aus welchen

Gründen mit welchen Zielen Widerstand geleistet werden muss.

 

Was tun? Zum Beispiel eine Strategiedebatte klingt mächtig, mündet

aber in Fragen, die nahe liegen und beantwortbar sein müssten:

 

Gegen wen und was leistet die Friedensbewegung eigentlich Widerstand,

aus welchen Gründen und mit welchen Zielen?

Gegen Krieg und/oder Kriegstreiber, gegen militärische Konfliktlösungen

überhaupt?

Gegen Waffenproduktion und/oder Waffenexport?

Gegen Drohnenbeschaffung und/oder Einsatz und/oder gegen alle

Waffensysteme, oder nur gegen ihren offensiv-aggressiven Einsatz? Gegen

Splitterbomben, Uranmunition usw. auch?

Gegen den Besitz von Atomwaffen besitz, gegen ihren Einsatz und/oder

ihre Lagerung? Und/oder gegen chemische und biologische Waffen?

Gegen Nato-Mitgliedschaft Deutschlands oder gegen die Nato überhaupt?

Gegen Kriege mit todbringenden Waffen und/oder auch gegen

Wirtschaftskriege, durch Sanktionen oder sog. Freihandelsverträge oder

konzerndeterminierte politische Interventionen, die viel mehr Opfer fordern?

Gegen Sklaverei und Ausbeutung, die kriegerische Gewaltexzesse zumeist

ohne den Einsatz von Waffen sind?

Gegen die Kriegsführung im Mittelmeer, in Nordafrika und an den

EU-Außengrenzen gegen Menschen, die vor Gewalt und Hunger fliehen?

Gegen das kriegerische Potenzial, das in TTIP, CETA und TISA steckt und

menschen- und naturvernichtende Folgen hat?

Gegen die Kriege, von denen wir selbst profitieren und an denen wir,

indirekt aber unleugbar, beteiligt sind?

Wenn aber die Begriffe Krieg und Frieden nicht auf das eine oder andere

Bedrohungsszenario, sondern in einem umfassenden humanistischen Sinne

gemeint sind, gibt es dann die Bereitschaft, die Systemfrage zu stellen,

also die nach den systematischen Hintergründen, Bedingungen und Ursachen?

Und was würde es bedeuten, diese systematischen Rahmenbedingungen

infrage zu stellen und welche Utopien oder Entwürfe für ein anderes

Zusammenleben aller Menschen ließen sich damit verbinden?

 

Praktische Fragen könnten sein:

Mit welchen Gruppierungen, Organisationen usw. könnten strategische

Bündnisse eingegangen werden?

Wie steht ein strategisches friedenspolitisches Konzept zum Thema

gewaltsamer Widerstand?

Wie soll mit Widersprüchen innerhalb der Friedensbewegung umgegangen werden?

Wie können die medialen Ressourcen, die durchaus vorhanden sind,

gebündelt und Öffentlichkeitswirksam gestaltet werden?

Welcher Aktionsplan lässt sich für die nächsten zwei Jahre grob

skizzieren, welche Aktionen lassen sich konkret vorbereiten?

 

Zur Zeit ist nicht erkennbar, dass es klare, einhellige, konsensfähige

Antworten auf diese und sicherlich viele andere Fragen gibt. Mindestens

aber müsste eine Bereitschaft vorhanden sein, sich auf eine Debatte zur

Antwortsuche einzulassen, wenn Widerstand breit und erfolgreich sein soll.

Eine solche Debatte könnte zum Beispiel auch in eine Strategiekonferenz

münden, deren Ergebnis strategische Ziele und Bewegungsformen sein könnten.

 

Möglicherweise wäre als Warming Up oder Vorstufe eine

Krisenbewältigungsrunde derjenigen, deren friedenspolitische Haltung 

ungebrochen, deren Interesse an Zusammenarbeit aber gegenwärtig

irgendwie eher gering ist, nötig und sinnvoll. Sie sollte von jemandem,

der/die in die verbalen Scharmützel nicht verwickelt ist, moderiert

werden, um die akute Konflikt- in eine Kooperationsdynamik zu verwandeln.

 

Zur Ermutigung noch einmal Erich Fried:

 

*/Revolutionäre Geduld/*

 

/Aus der Rede//

//eines alten Genossen//

//der als einziger //

//nach zwei Stunden//

//keine Spur von Ermüdung zeigte//

//und weiter sprach//

//als hätte er//

//eben erst angefangen//

//lernte ich: //

//unser Kampf//

//ist ein langer Kampf/

 

In diesem Sinne wünscht allen fröhliches friedensbewegtes Schaffen

 

Günter Rexilius.

 

PS: Meinen TextFrieden für alle hänge ich für Interessierte als

Anregung noch einmal an.