Streit in der Friedensbewegung – wie breit darf sie
sein?
Vortrag von Doris Pumphrey*
im Marx-Engels-Zentrum (MEZ), Berlin, am 26. März 2015
Eine
Vorbemerkung
Kurz vor den Ostermärschen und inmitten der
Vorbereitung der Aktivitäten zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus
wird der Streit in der Friedensbewegung durch jüngste Artikel und Interviews in
taz und junge Welt (jW) weiter angeheizt. Von der taz ist nichts anderes zu
erwarten, wohl aber von der jW. Was die junge Welt angeht, so beziehe ich mich
im Folgenden auf den Artikel „Formierte Gegenaufklärung“ von Sebastian Carlens
vom 21./22. März 2015 und auf das Interview mit Monty Schädel, dem politischen
Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), unter der Überschrift „Der Friedenswinter
macht die Friedensbewegung kaputt“ in dieser Ausgabe.
Ich gehöre zur “alten” Friedensbewegung die, laut
eines Redakteurs der jW, schon lange nicht mehr existiert. Da er aber
gleichzeitig von einer “organisierten revolutionären Bewegung” hierzulande
spricht, kann der Maßstab zur Bemessung der Existenz einer Bewegung eigentlich
nicht sehr hoch angelegt sein.
Er schreibt, in der Friedensbewegung würde immer
wieder “vollmundig” eine breite Mehrheit gegen den Krieg gefordert, die in
unserer Gesellschaft aber schon längst existiert. Vielleicht ist das Thema
Friedensbewegung einfach nur neu für ihn und er hat noch nicht mitbekommen, dass
die Schaffung einer breiten Friedens-BEWEGUNG etwas anderes ist als Meinungen
und Stimmungen in der Gesellschaft.
In der jW vom 21./22. März stellt Monty Schädel von
der DFG-VK die Behauptung auf, die Auseinandersetzung mit den Mahnwachen habe
die Friedensbewegung blockiert. Die Auseinandersetzung mit neuen Erscheinungen
oder Bewegungen ist ein ganz normaler Vorgang. Nicht die Auseinandersetzung,
sondern die Methoden dieser Auseinandersetzung sind das Problem:
Pauschalisierung, Entstellung und Diffamierung. Ein Beispiel dafür hat leider
auch die JW in ihrer Wochenendausgabe geliefert, in dem sie diesen Methoden
auffällig breiten Raum einräumte. Warum schlägt die jW-Redaktion eigentlich das
Angebot des bekanntesten Protagonisten der Mahnwachen für den Frieden aus,
einfach mal miteinander und nicht nur übereinander zu sprechen?
* * *
Die Gefahr einer
militärischen Konfrontation in Europa wächst
Seit vielen Jahren mobilisiert die Friedensbewegung
gegen die Aggressionen und Interventionen der USA und NATO, die sie in immer
kürzeren Abständen gegen schwächere Länder führten, die sich deren Diktat nicht
beugen. Die Vorwände und Lügen kennen wir. Überall hinterlassen sie Tote,
Verletzte, Massenelend, Chaos, Zerstörung und Zerstückelung.
Der Staatsstreich in Kiew und die darauf folgende Entwicklung hat die
Spannungen zwischen USA/NATO/EU und Russland derart erhöht, dass eine
militärische Konfrontation in Europa – und damit ein nuklearer Weltbrand –
wieder möglich ist.
Trotz dieser Gefahr wird die Situation durch anti-russische
Hetze täglich angeheizt seitens der USA und ihren transatlantischen Freunden in
Politik und Medien in NATO und EU. Das erleben wir hierzulande in besonderem
Maße.
Einige meinen, die Friedensbewegung müsse
Äquidistanz einnehmen, sie dürfe nicht den Anschein geben, mit einem
kapitalistischen Russland in einer gemeinsamen Antikriegsfront zu stehen, denn
es gehe hier um “einen Kampf zwischen kapitalistischen Ländern”. Nach dieser
Logik hätte die Sowjetunion keine Anti-Hitler-Koalition mit imperialistischen
Staaten eingehen dürfen.
Auf der einen Seite haben wir die imperialistischen
Länder, den US-geführten Kapitalismus: Globale Expansion durch Aggression,
Intervention, Finanzierung von Oppositions- und Terrorgruppen bis zum Regime
Change. Auf der anderen Seite kapitalistische Länder, deren Entwicklung durch
andere regionale und historische Bedingungen geprägt ist und die darauf
angewiesen sind, ihre Souveränität gegenüber dem aggressiven Lager zu
verteidigen.
In der aktuellen Zuspitzung des weltpolitischen
Konflikts sind die linken Kräfte in der Friedensbewegung gefordert deutlich zu
machen: Die Unterschiede und Widersprüchlichkeiten 1. zwischen den
kapitalistischen 2. innerhalb des imperialistischen Lagers selbst (deutlich und
für uns besonders wichtig: zwischen den USA und der Bundesrepublik). Und 3.
müssen wir die unterschiedlichen Interessenslagen innerhalb der eigenen
herrschenden Klasse hierzulande erkennen und nutzen.
Einige meinen, die Friedensbewegung dürfe nicht nur
die USA sondern müsse auch Russland als Kriegstreiber benennen. Mit der
Realität hat das nichts zu tun.
Der US-Präsident betont nicht nur immer wieder den
weltweiten Führungsanspruch der USA. Er brüstet sich auch damit, dass die USA
hinter dem Putsch in Kiew standen. Vor kurzem erklärte er, die USA müssten
Druck und Gewalt ausüben, “wenn Länder nicht das tun, was wir von ihnen
verlangen.”
(http://www.vox.com/a/barack-obama-interview-vox-conversation/obama-foreign-policy-transcript)
Man stelle sich vor, Putin hätte das für Russland
erklärt. Oder man stelle sich vor, Russland unterstützt die mexikanische
Opposition mit 5 Milliarden Dollar, organisiert einen Staatsstreich in Mexiko
City, inthronisiert einen US-feindlichen Präsidenten, besetzt wichtige Posten
mit Putin-Freunden, der russische Geheimdienst übernimmt die Büros des
mexikanischen, russische Militärs und Söldner beraten und trainieren
mexikanische Militärs und Russland hält Militärmanöver an der Grenze zu den USA
ab. Oder man stelle sich vor, Russland würde die USA mit Militärbasen
einkreisen, wie die USA dies mit Russland macht.
Das unerwartete Auftauchen
der “Mahnwachen für den Frieden” störte die Kriegstreiber in Politik und
Medien.
Die durch die Entwicklung in der Ukraine erhöhte
Kriegsgefahr vor einem Jahr hat Menschen zu den “Mahnwachen” mobilisiert, u.a.
weil die “alte” Friedensbewegung zu langsam auf die Gefahr reagierte und es in
manchen, vor allem ostdeutschen Städten auch keine Strukturen der alten
Friedensbewegung gab. Wie “aus dem Nichts” liefen in kürzester Zeit Tausende zu
den Friedensmahnwachen.
Die Herrschenden witterten eine Gefahr: Wenn die
Mobilisierung der Mahnwachen zu gemeinsamen Antikriegsaktionen mit der
traditionellen Friedensbewegung, ihren Erfahrungen und ihren bewährten
Strukturen führt, könnte eine mächtige Friedensbewegung entstehen.
Ein Deutschland, das nicht nur den anti-russischen
Kurs Kiews unterstützte, sondern gleichzeitig die stärkere Beteilung der
Bundeswehr an Aggressionen und Kriegen quasi zur moralischen Pflicht erklärt,
auch noch eine europäische Armee schaffen möchte, solch ein Deutschland muss
ein Anwachsen der Friedensbewegung verhindern.
Der Zulauf zu den Mahnwachen
überraschte auch die “alte” Friedensbewegung
Einigen in der “alten” Friedensbewegung waren die
Friedensmahnwachen suspekt und es gab auch berechtigte Fragen: Warum hatten die
Organisatoren an den Orten, in denen es bereits Antikriegsstrukturen gab, mit
diesen nicht zunächst Verbindung aufgenommen? Wollte sich da eine Konkurrenz
aufbauen, die sich zu gegebener Zeit dann gegen die “alte” Friedensbewegung
richten könnte? Oder wollte etwa die Extremrechte Kriegsgegner ködern?
Die Mahnwachen waren und sind vor Ort z.T. sehr
unterschiedlich in ihrer Zusammensetzung. Ebenso unterscheiden sich die
jeweiligen Diskussionen und der Umgang mit ihnen seitens der “alten”
Friedensbewegung. Überregional und vor Ort gab es heiße Diskussionen innerhalb
der “alten” Friedensbewegung. Sollten Vertreter von uns den Dialog mit den
Organisatoren der Mahnwachen suchen, sollten einige nicht auch bei den Mahnwachen
auftreten, wie es angeboten wurde?
Die Mahnwachen selbst machten die Diskussion und
Entscheidung nicht gerade einfach, da sich auch Rechtsextreme dort tummelten.
Inzwischen grenzen sich örtlich die Mahnwachen von rechten Positionen, Personen
und Gruppen ab. (In Berlin hat sich deshalb eine zweite gegründet.)
Eines ist deutlich: Die Mahnwachen sind eine
politisch unerfahrene Bewegung mit z.T. sehr diffusen Vorstellungen. Jede junge
und politisch diffuse Bewegung braucht auch ihre Zeit, um sich zu sortieren,
einen Klärungsprozess durchzumachen. Warum wird ihr nicht mal das zugestanden
bzw. warum werden positive Veränderungen nicht mal wahrgenommen?
Klassischerweise müsste dies eine Herausforderung
für linke Kräfte in der “alten” Friedensbewegung sein, um ihre langjährigen
politischen Erfahrungen und Expertise mit den neu Hinzukommenden zu teilen und
Aufklärungsarbeit zu leisten. Einige in der “alten” Friedensbewegung ziehen es
vor, in ihrem Biotop zu bleiben, sich von den Neuen zu distanzieren oder sie zu
diffamieren.
Die Kampagne gegen die
“Mahnwachen für den Frieden” wurde von Antideutschen losgetreten.
Ohne hier auf die Einzelheiten eingehen zu können:
Ausgelöst wurde die Kampagne gegen die Friedensmahnwache durch die bekannte
“Antideutsche” Jutta Ditfurth. Bezeichnenderweise gab ihr das
öffentlich-rechtliche Fernsehen (3sat) zu bester Sendezeit die Gelegenheit, um
mit Halbwahrheiten und Deformationen den “Beweis” zu liefern, dass die
Friedensmahnwache eine “neurechte” Veranstaltung sei.
Es kursierten und verbreiteten sich im
Schneeballeffekt des Internets Zusammenstellungen von Zitaten, die verkürzt
oder völlig aus dem Zusammenhang gerissen “Beweise” gegen die bekannten Köpfe
der Mahnwachen liefern sollten, allen voran gegen Ken Jebsen. Die Schlagworte:
Antisemitismus, Verschwörungstheorie und Querfront.
Vorsichtige gemeinsame
Aktionen treffen auf eine unübliche Koalition von Gegnern.
Im Mai letzten Jahres hatte eine beachtliche Gruppe
von Vertretern aus der “alten” Friedensbewegung zur “solidarischen
Auseinandersetzung mit den Montagsmahnwachen” aufgerufen und erklärten u.a. “Wir
erkennen an, dass soziale Bewegungen, die organisch entstehen, in sich die
Widersprüchlichkeit tragen, die aus der Widersprüchlichkeit ihrer Gesellschaft
entsteht. Unabhängig von der Problematik einzelner Akteure oder Gruppen, macht
man es sich zu einfach, die Bewegung selbst mit einem exkommunizierenden
Bannstrahl zu versehen.”
Inzwischen sind an einigen Orten “alte” und “neue”
Friedensbewegung Aktionsbündnisse eingegangen. In Berlin kam es über die
Initiative “Friedenswinter 2014/15″ zur ersten gemeinsamen Demonstration
am 13. Dezember.
Den Aufruf zu dieser Demonstration hatten neben
vielen aus der traditionellen Antikriegsbewegung und einzelnen Abgeordnete der
Linkspartei auch drei Vertreter der Montagsmahnwachen unterschrieben. Das
allein war für nicht wenige aus der “alten” Friedensbewegung der Grund, sich zu
distanzieren, obwohl sie mit dem Inhalt des Aufrufs einverstanden waren.
Wohl selten gab es eine derartige Diffamierungskampagne
im Vorfeld einer Friedensdemonstration wie zu dieser (es sei eine Demonstration
von “Rechtspopulisten”, “Nationalisten”, “Antisemiten” etc.) Viele, die sonst
zu Friedensdemonstrationen kommen, ließen sich einschüchtern und blieben weg.
Viele neue Gesichter waren hinzugekommen. In Heidelberg scheinen die
Mobilisierungsmethoden der Mahnwache (obwohl sie selbst zahlenmäßig unbedeutend
ist) gewirkt zu haben. Die Teilnehmerzahl war mit 800 Demonstranten ein
Mehrfaches der üblichen. Die Demonstration in Berlin war nicht nur doppelt so
groß wie die größten in den letzten Jahren. Sie war auch eindeutig
antifaschistisch geprägt.
Der Vorstand der Partei Die Linke hatte sich schon
im letzten Mai offiziell von den Mahnwachen distanziert. Gleich nach der Demonstration
am 13. Dezember fasste die Linksfraktion im Bundestag einen Beschluss gegen
jede finanzielle Unterstützung für künftige Veranstaltungen an denen
Organisatoren der Mahnwachen teilnehmen. Es ist ja auch bezeichnend, dass
dieser Beschluss von jenen Kräften betrieben wurde, die sich eher Gedanken
machen, wie Partei und Fraktion ihre eventuelle Zustimmung zu Kriegseinsätzen
vor ihren Wählern rechtfertigen können.
Eine Linkspartei auf Kurs Richtung
Regierungskoalition mit Kriegsparteien hat natürlich kein Interesse an einer
mächtigen Friedensbewegung.
Die Diffamierungskampagne gegen die
Friedensmahnwachen wird von einer unüblichen Koalition getragen: Von den
Kriegstreibern und ihren Medien, über linke oder linksliberale Gruppen und
Organisationen, bis hin zu Teilen der Linken und selbst der DKP. Das sollte
eigentlich zu Denken geben.
Diffamierungskampagne à la
FBI und Gesinnungsprüfung à la McCarthy
Die Kampagne gegen die Mahnwachen erinnert in ihrer
Art sehr an den “geheimen Krieg”, den das FBI unter der Bezeichnung Cointelpro
gegen die Opposition in den USA geführt hatte. 1975/76 veröffentlichte ein
Senatsausschuss die Untersuchungsergebnisse über die Verschwörung gegen die
Kommunistische Partei, die Bürgerrechts- und die Antikriegsbewegung in den USA.
Von den vielen Methoden des FBI, die ans Tageslicht
kamen, sei hier nur eine erwähnt: “Maßnahmen zur Förderung von Uneinigkeit und
Streit”. Nicht nur nutzte das FBI bestehende Auseinandersetzungen, um sie
anzufeuern bis zur Unversöhnlichkeit. Das FBI produzierte und entstellte
Aussagen für entsprechende Diffamierungskampagnen. Es gab noch kein Internet.
Der “shit storm” lief damals noch über Telefon, Postsendungen und Leserbriefe.
Der Streit in der Opposition wurde auch durch dort
eingeschleuste FBI-Agenten und IMs geschürt. Mit seinen “Maßnahmen zur
Förderung von Uneinigkeit und Streit” war das FBI besonders erfolgreich in der
Black Panther Party.
Dass deutsche und ausländische Geheimdienste ein
Interesse daran haben, alles zu tun, um eine große Friedensbewegung gerade in
einem Schlüsselland wie Deutschland zu verhindern, liegt auf der Hand.
Auch wenn die Anfänge der Montagsmahnwachen und die
Beteiligung von Rechten und obskuren Leuten Skepsis auslösen musste, ist die
Heftigkeit und die unehrliche Art und Weise der Kampagne gegen sie – die von
Teilen der “alten” Friedensbewegung unisono mit den Kriegshetzern in den Medien
geführt wird – erschreckend. Das hat auch Züge einer Hexenjagd à la McCarthy.
Wir kritisieren die Methoden der Kriegstreiber
USA/NATO in den internationalen Beziehungen: Diffamierungen, Unterstellungen
und die Verweigerung eines fairen Dialogs. Derartige Methoden haben in der
Auseinandersetzung mit den Mahnwachen nun auch Einzug gehalten in die Reihen
der “alten” Friedensbewegung. Wie will die Friedensbewegung glaubwürdig sein,
wenn sie derartige Methoden selbst anwendet?
Einige in der “alten” Friedensbewegung reagieren,
als ginge es um die Verteidigung eines abgesteckten Territoriums, als sei die
Friedensbewegung Eigentum der traditionellen Organisationen, als müssten neue
Kräfte um Eintritt bitten und erstmal eine Gesinnungs- und Motivationsprüfung
durchlaufen, einen TÜV sozusagen.
Wer will sich anmaßen zu entscheiden, ob und ab
wann die Motivation derer, die einen Aufruf zur gemeinsamen Antikriegsaktion
unterschreiben “koscher” ist oder nicht? Und welcher Maßstab soll angelegt
werden, wenn wir innerhalb der “alten” Friedensbewegung schon so
unterschiedliche Maßstäbe haben?
Auch in der “alten” Friedensbewegung waren und sind
sich nicht alle sympathisch oder “koscher” aus unterschiedlichen Gründen. Vor
allem aber: Friedensbewegung vereint immer Kräfte mit unterschiedlichsten
Weltanschauungen, mit mehr und weniger politischer Erfahrung. Das führt oft zu
heißen (und notwendigen) Auseinandersetzungen, aber das hat uns noch nie
gehindert einen Minimalkonsens zu erstreiten, um gemeinsam zu handeln.
Gegen die Mahnwachenleute wird argumentiert, diese
definierten sich als “weder rechts noch links”. Das hätte den Geruch einer
“Querfont”. Hier wird etwas vergessen: Die jüngeren Generationen, grob gesagt,
jene die erst nach 1990 politisiert wurden, sind mit einer Schwierigkeit
konfrontiert, die die Älteren unter uns nicht in dem Ausmaß erlebt haben. Die
Fronten zwischen Links und Rechts waren früher eindeutiger. Was als “links”
gilt, ist heute bis zur Unkenntlichkeit verwischt.
Wie können wir z.B. von jüngeren, unerfahrenen
Teilnehmern der Mahnwachen erwarten, dass sie sich als links definieren, wenn
in einer Linkspartei Transatlantiker führende Rollen spielen und Positionen
vertreten werden, wie die von BAK-Shalom? Oder wie kann man von ihnen erwarten,
dass sie sich links einordnen, wenn sie ständig “von links” diffamiert werden?
Die Gefahr einer
militärischen Konfrontation in Europa stellt die Friedensbewegung vor eine
große Herausforderung.
Die Kriegsgefahr hat nicht abgenommen, sondern sie
wächst. Durch das ständige Anheizen des Konflikts vor allem seitens der USA
besteht inzwischen die Gefahr einer Eigendynamik bis hin zum Atomkrieg.
Bei den Mahnwachen treffen sich Menschen, die die
Sorge um den Frieden eint und die soweit politisiert sind und sich selbst
informieren, dass sie der Regierung und den Herrschaftsmedien nicht mehr trauen
und sie hinterfragen. Dass dort auch rechte Kräfte versuchen, Einfluss zu
gewinnen ist ein ganz normaler Vorgang. Normal für Linke ist allerdings nicht,
dass sie so etwas wie ein moralisches Kontaktverbot ausgeben.
Die Abwesenheit, Schwäche oder das politische
Versagen der Linken schafft immer und überall ein Vakuum, das Rechte nutzen
können. Es geht also nicht darum – wie Monty Schädel von der DFG-VK in der jW
behauptet – dass sich einige Leute aus der “alten” Friedensbewegung die Frage
stellen, “ob man nicht auch mal nach rechts blicken solle”. Es ist ureigenste
Aufgabe der linken Kräfte, das Feld nicht den Rechten zu überlassen!
Konstruktive Auseinandersetzung miteinander und die
gemeinsamen Aktion führt zu neuen Erfahrungen und Erkenntnissen. Das galt und
gilt nicht nur innerhalb der “alten” Friedensbewegung, das gilt auch im Dialog
und in gemeinsamen Aktionen mit der “neuen”.
Anstelle von Pauschalisierungen und Diffamierungen,
muss die jeweils notwendige faire politische Auseinandersetzung treten. Nur so
können wir den Kriegstreibern in Politik und Medien einen Strich durch die
Rechnung machen in ihrem Bemühen, die Antikriegsbewegung zerstritten, klein,
unbedeutend und ineffektiv zu halten.
Wenn nun – wie in der jW behauptet wird – der
Friedenswinter gescheitert ist und jegliche Zusammenarbeit mit den Mahnwachen
aufhören muss, dann wird vergessen, dass es sich hier nicht nur um einen
Versuch über einen bisher sehr kurzen Zeitraums handelt , sondern dass die
Aktiven dabei auch permanent einer üblen Gegenkampagne ausgesetzt waren. Ob die
Form des Aktionspakets “Friedenswinter” die richtige war, darüber muss
diskutiert werden, aber solidarisch und konstruktiv.
Einige in der “alten” Friedensbewegung stellen mit
Häme fest, dass die Mahnwachen zahlenmäßig enorm abgenommen haben. Hier wird
vergessen, dass zwar nicht die Kriegsgefahr aber das Gefühl einer unmittelbaren
Bedrohung, wie im letzten Frühjahr, bereits im Herbst abgenommen hatte. Das
wirkte sich erheblich auf jede Mobilisierung aus. (Auch die Teilnehmerzahl an
den von unserer Friedenskoordination organisierten Ukraine Demonstrationen
hatte zwischen dem 31. Mai und 4. September deutlich abgenommen.)
Außerdem: Viele von uns wussten von vorneherein,
dass die Annahme der Organisatoren der Mahnwachen, dass man über einen großen
Zeitraum jeden Montag genug Menschen mobilisieren kann, eine Illusion ist.
Trotz aller beschriebenen Probleme haben die
Mahnwachen gezeigt, dass es ein neues Potential gibt, das sich gegen die
Kriegstreiberei mobilisieren lässt, das von der “alten” Friedensbewegung bisher
nicht erreicht wurde.
Rainer Braun, einer der Organisatoren des
Friedenswinters hat auf Folgendes – meiner Ansicht nach – sehr Wichtiges
hingewiesen:
“Ein besonderes Gefahrenpotential für die
politische Klasse liegt in einer Verbindung zwischen den Mahnwachen mit ihrer
Aktionsbereitschaft und Internet-Kompetenz und der traditionellen
Friedensbewegung mit ihren analytischen und strategischen Kompetenzen. Daraus
kann eine neue massentaugliche Protestbewegung mit eigenen
Kommunikationskanälen resultieren, die viel mehr Menschen zu klaren unmissverständlichen
Friedenspositionen mobilisiert. Ein Graus für alle Kriegsbefürworter, gerade in
dieser Zeit der ideologischen und faktischen Aufrüstung, aber auch eine Gefahr
für die Besitzer traditioneller Medien, die derzeit massiv an Glaubwürdigkeit
in der Gesellschaft verlieren.”
Dabei sollte grundsätzlich beachtet werden, dass
die Friedensbewegung keine einheitliche Organisation ist. Verschiedene
Organisationen und Gruppen beschließen lokal gemeinsame Aktionen und bilden
auch Netzwerke, die aber die Unterschiede der einzelnen Teile respektieren.
Wir müssen uns endlich klar werden, was wir wollen.
Negieren wir die wachsende Kriegsgefahr und begnügen uns weiterhin mit oft nur
symbolischen Aktionen und Demonstrationen, die nur darauf ausgerichtet sind
“Flagge zu zeigen”, schöne Fotos ins Internet zu stellen und uns selbst zu
agitieren. Oder erkennen wir die Dringlichkeit einer Mobilisierung gegen die
wachsende Kriegsgefahr, die Mobilisierung aller Antikriegskräfte, eine
Mobilisierung, die einschließt und nicht ausgrenzt, um so mächtig zu werden,
dass sie tatsächlich den notwendigen politischen Druck ausüben kann um der
Kriegstreiberei Einhalt zu gebieten.
Die Antikriegsbewegung ist
keine Bewegung von Gleichgesinnten. Sie ist auch keine linke Bewegung per se,
aber Linke in ihr tragen eine besondere Verantwortung.
Der Redakteur der jW, der die Friedensbewegung für
tot erklärte, hofft nun, dass die “organisierte revolutionäre Bewegung”
wenigstens einen Kern an Erfahrung rettet.
Es ist höchste Zeit, aus der Geschichte der
Antikriegsbewegungen zu lernen. Die Erfahrungen – nicht nur hierzulande – haben
nämlich immer wieder gezeigt, dass die Friedensbewegung immer nur dann
erfolgreich war, wenn es ihr gelang, Ausgrenzungen zu vermeiden und Menschen
mit unterschiedlichsten weltanschaulichen Positionen hinter ihren Forderungen
zu vereinen.
Die Friedensbewegung ist eine Bewegung derer, die
EINES gemeinsam haben: Sie sind gegen Krieg und wollen dagegen aktiv sein.
Dazu – und weil wir hier im Marx-Engels-Zentrum
sind – möchte ich an den VII. Kongress der Kommunistischen Internationale 1935
in Moskau erinnern. Der Kongress betonte, dass im Kampf gegen den Faschismus
und den drohenden Krieg Unterschiede und Widersprüche im Lager der eigenen
Bourgeoise und zwischen den kapitalistischen Staaten erkannt und genutzt werden
müssen, und dass es gilt eine breitest mögliche Einheitsfront gegen den Krieg
herzustellen.
Unter seinem Pseudonym Ercoli hielt der
italienischen Kommunist Palmiro Togliatti ein Referat, aus dem ich hier nur
bruchstückhaft zitiere (ohne den Sinn zu entstellen):
“Unsere grundlegende politische Aufgabe im Kampf
für den Frieden gegen den imperialistischen Krieg (…) besteht in der Schaffung
der breitesten Einheitsfront. (..) [Wir] stehen vor der Aufgabe, alles
Erforderliche zu unternehmen, um zum Kampf für den Frieden alle zu sammeln, die
den Krieg nicht wollen, alle, die den Krieg hassen, alle, die bereit sind, für
den Frieden zu kämpfen. (…)
(…) Das Bewusstsein der Schrecken des Krieges (…)
ruft vom pazifistischen Gesichtspunkt aus den Widerstand immer größerer
Schichten hervor. (…) Wir (…) verstehen die Bestrebungen dieser pazifistisch
gestimmten Massen und würdigen sie nach Gebühr, selbst wenn sie sich manchmal
noch in einer naiven und politisch unrichtigen Form äußern.”
Togliatti ruft dazu auf, unter ihnen
Aufklärungsarbeit zu betreiben um mit ihnen “eine wirksame Schranke gegen
den Krieg” zu werden. (…)
Wir müssen stets zwei Umstände im Auge behalten: 1.
dass die Organisation der pazifistischen Massen keine kommunistische
Organisation sein kann und darf, und 2. dass die Kommunisten, die in dieser
Organisation arbeiten, niemals darauf verzichten dürfen, ihre Ansichten über
alle Probleme des Kampfes gegen den Krieg mit der größten Geduld und
Beharrlichkeit auseinanderzusetzen. (..)”
Man muss kein Kommunist sein, um diese
Notwendigkeit zu sehen und auf die heutige Situation anzuwenden.
—————–
*Doris Pumphrey ist langjährige
Antikriegsaktivistin und heute engagiert in der Friedenskoordination Berlin