Hunger ist
eine „Massenvernichtungswaffe“, sagt Jean Ziegler
Stellungnahme gegen IWF und Weltbank
von Siv O'Neall
am 20. Januar 2012, ins Netz gestellt von einartysken am 23.1.2012
Leicht gekürzt
„Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind unter zehn an Hunger. 35 Millionen Menschen
sterben jährlich an Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen. Eine Milliarde
Menschen sind ständig oder ernst unterernährt und die Situation wird immer
katastrophaler.“ (Jean Zieger)
In seinem neuesten Buch „Mass Destruction – the Geopolitics of Hunger“
(Massenvernichtung – die Geopolitik des Hungers) spricht Jean Ziegler 1 über
den gegenwärtigen Zustand der Welt und die neoliberale Politik des Hungers der
Armen, was die Krise so kritisch gemacht hat, dass es einem berechneten Mord
gleichkommt. Was wir heute sehen, ist die größte Hungerkrise in der
Menschheitsgeschichte. Und allein aus menschlicher Gier und kolossaler Misswirtschaft
aus Gewinnsucht.
Prof. Ziegler behandelt detailliert die verschiedenen Ursachen der
gegenwärtigen weltweiten Hungerkatastrophe, die hätte vermieden werden können.
Diese Krise ist nicht schicksalsbedingt – oder mit Zieglers eigenen Worten – 'La
famine n'est pas une fatalité!' Die Welt könnte ohne weiteres Nahrung für 12
Mrd. Menschen bereitstellen, fast das Doppelte der gegenwärtigen 7 Mrd.
Was also hat diese mörderische Situation möglich gemacht, das Tausende Menschen
sterben (37 000 täglich) aus Mangel an Nahrung und sauberem Wasser? Der Hunger
ist kein Schicksal. Er hätte vermieden werden können. Er hätte nicht
stattfinden sollen.
Die Agro-Industrie tötet die kleinen Bauern – manche Länder schlagen zurück
Die Ziele der „kalten Monster“ der Agroindustrie
Arger Daniels Midland (ADM), Cargill und Bunge u.a. sind es, die kleinen Bauern
in der ganzen Welt, besonders in Afrika und Südasien völlig auszusaugen.
Die außergewöhnliche Entwicklung,
die heute in Lateinamerika stattfindet, befreit es aus dem Griff des
Neoliberalismus. Das akzentuiert nur, dass der schreckliche Hunger, den wir in
Afrika und Südasien sehen, niemals notwendig gewesen wäre. Lateinamerika hat
heftig gegen die Abhängigkeit von dem IWF, der Weltbank und der
Welthandelsorganisation (WTO) angekämpft – die drei Reiter der Apokalypse, wie
Jean Ziegler sagt.
Die Verteilung vom Land des
Großgrundbesitzes mit seinen riesigen unbebauten Landflächen an Kleinbauern hat
sich als äußerst effektiv bei der Erhöhung des Lebensstandards erwiesen und hat
den Ärmsten der Armen in mehreren Ländern Lateinamerikas (LA) geholfen. Diese
Länder haben sich von den Killer-Verträgen wie NAFTA, CAFTA und FTAA2 frei
gekämpft, die ausschließlich für das reiche Nordamerika geschaffen wurden, um
die Naturressourcen der südlichen Hemisphäre zu übernehmen.
Die USA sind intern verknüpft mit
den Supra-Nationalen Unternehmen (TNC) und sind fest entschlossen, die ganze
Welt in Besitz zu nehmen. Die Vorgehensweise ist, dass sie zuerst die
wertvollen Güter überall an sich reissen, in LA sowohl als auch in Afrika und
jetzt auch in Indien. Lasst uns nicht vergessen, dass LA ganz
selbstverständlich zum Hinterhof der USA gerechnet wurde. Die linken
Befreiungs- Bewegungen im Süden sind ein harter Schlag für die tiefsitzenden
Gefühle der Überlegenheit und Selbstgerechtigkeit gewesen, die für die
Amerikanern immer völlig selbstverständlich waren.
Die LA Länder haben jetzt ihre
eigenen Handelsverträge geschaffen wie MERCOSUR und ALBA. Allerdings bleibt
abzuwarten, wie MERCOSUR gegen den US-Imperialismus bestehen wird.
Organisierter
Hunger wurde zur Tagesordnung, ohne sichtbare Proteste
Es geschah Schritt um Schritt,
äußerst geheim, da die MainStreamMedien (MSM) das Thema überhaupt nicht
berührten, wenn sie überhaupt davon wussten. Und die ganze Zeit dachten wir:
„Es muss doch einen Ausweg geben. Dies kann nicht so weitergehen.“ Und es ging
weiter. Und wurde schlimmer. Und schlimmer. Die TNCs besitzen praktisch die
westlichen Regierungen und sie lenken die Welt für ihre Zwecke und ihren Profit
allein.
Die kleinen Bauern, die
Subsistenzbauern, die genug Nahrung produzieren, um ihre Familien zu ernähren
und auf den Märkten ein kleines Einkommen zu verdienen, werden durch
sorgfältige Planung ruiniert.
Die drei Reiter der Apokalypse des
organisierten Hungers, der überstaatlichen Organisationen IWF, Weltbank und WTO
führen die Wünsche der drei Nahrungsgiganten Cargill, Archer Daniels Midland
(ADM) und Bunge aus. Diese kalten Monster sind in der Lage, die Preise
festzulegen durch die Macht, die sie sich selbst als Kartelle oder Monopole
gegeben haben.
Die kleinen Bauern in Afrika und
sonstwo brauchten Hilfe bei ihrer harten Arbeit zur Ernährung ihrer Familien
und der Produktion der Nahrung für das Land. Dürre, militärische Konflikte,
politische Krisen, Naturkatastrophen, menschengemachte Notsituationen – all
dies trug zu der gegenwärtigen Nahrungskrise bei.
Der IWF war bereit, Darlehen zu
geben, ABER unter Bedingungen. Strukturelle Anpassungs Programme (SAPs) folgten
und die Leute wurden die Opfer.3 Die
Regierungen hatten weniger Geld für Erziehung, Gesundheit, Nahrungsmittelhilfe
für die ganz Armen, Infrastruktur usw.. Arbeitslosigkeit und Armut nahmen zu
und neue Darlehen wurden gebraucht, und wenn nur, um die Zinsen für die alten
Darlehen der Tigerhaie zu bezahlen. Und damit sind die Länder der Dritten Welt
in einer bösen Schuldenspirale gefangen.
Natürlich gibt es auch
verhängnisvolle Korruption unter den Führern der Länder in Not, was verhindert,
dass das Geld von wahren NGOs nicht in die richtigen Hände gelangt.
Zu den vielen Problemen, mit denen
kleine Bauern zu kämpfen haben, kommt noch ein Produkt westlicher Gier –
Riesengesellschaften kaufen ungeheure Plantagen auf, wann immer die kleinen
Bauern gezwungen sind, ihre Land zu lächerlichen Preisen zu verkaufen. Und dann
müssen diese ehemaligen armen, aber stolzen Subsistenzbauern für Pfennige für
die großen Landherren arbeiten, die, anstatt Nahrung für die einheimische
Bevölkerung zu produzieren, Baumwolle, grüne Bohnen, Kaffee, Tee, Kakao,
Erdnüsse und sonstwas anbauen, um es an die reichen Länder zu verkaufen. Und
diese Nahrungsmittel für die Reichen werden oft von kleinen Kindern produziert,
die brutal von den Landherren ausgebeutet werden. Sklaverei-Arbeitsbedingungen
sind die Regel.
In seinem Buch schreibt Jean Ziegler
(S. 327):
„Die Ideologen der Weltbank sind
unendlich gefährlicher als die trostlosen Marketings-Agenten Bolloré, Vilgrain
(franz. Investoren) & Co. Mit hunderten Millionen Dollar Krediten und
Subsidien bezahlt die Weltbank den Diebstahl von Ackerland in Afrika, Asien und
LA.“
Nahrungsmittel müssen importiert
werden – zum Wohle der Multis. Arme Leute können die importierte Waren zu
künstlich überhöhten Preisen nicht kaufen. Also hungern die Kinder, schwangere
Mütter sind unterernährt und folglich werden die Babies bereits mit Defekten geboren.
Vor allem sind ihre Gehirne nicht zureichend entwickelt, was nie geheilt werden
kann. Ein großer Teil dieser Kinder stirbt, bevor sie zwei Jahre alt sind.
Unterernährung grassiert und ist die
Ursache für unvorstellbar schreckliche Krankheiten wie Noma, was viel weniger
bekannt ist als die Killer-Krankheiten Malaria, Dysentrie, Cholera,
Tuberkulose, Diphterie und andere Infektions-Krankheiten. Noma ist keine
Ansteckungs-Krankheit, sondern entsteht durch ernste und chronische
Unterernährung.4
Für die USA und ihre
Marionetten-Organisationen IWF, Weltbank und WTO hat die UN-Erklärung des
Universalen Rechts auf Nahrung5
nicht die geringste Bedeutung. Sie wird einfach ignoriert.
…......
Jean Ziegler beschäftigt sich auch
mit der Entstehung der Nahrungsmittel-Programme:
„Die FAO (Organisation für Nahrung
und Landwirtschaft) und das World Food Programme (WFP) sind das große und
schöne Erbe von Josué de Castro.6 Und
diese beiden Institutionen sind vom Ruin bedroht. Sie entstanden … als das
große Erwachen des Bewusstseins in Europa einsetzte, nachdem es der Nacht des
Faschismus entronnen war: die FAO 1945 und das WTP 1963.“
Das traurige Schicksal dieser beiden
Organisationen ist jedoch, dass sie ziemlich hilflos waren, als die
gegenwärtige ökonomische Krise einsetzte. Das Mandat des WFP ist es gerade,
Hunger und Armut in der Welt zu eliminieren, aber mit einem stark reduzierten
Budget, wie kann es da sein Ziel erreichen?
Jean Ziegler schreibt (S. 216):
„Am 22. Oktober 2008 versammelten sich 17 Staats- und Regierungschefs im Elysé
in Paris. Um 18.00 Uhr stellten sich Angela Merkel und Nicolas Sarkozy vor dem
Eingang der Presse. Sie erklärten: 'Wir müssen 1.7 Mrd. Euro bereitstellen, um
die Interbankkredite wieder in Schwung zu bringen und müssen das Niveau der
Selbstfinanzierung der Banken von 3 auf 5% anheben.' Vor dem Ende des Jahres
2008 waren die Subsidien für dringende Nahrungshilfe in den Ländern der
Euro-Zone um beinahe 50% gesunken. Das WFP-Budget betrug zuvor 6 Mrd. $ und
2009 fiel es auf 3.2 Mrd.
…
Für 2011 veranschlagte das WFP den
Minimal-Bedarf auf 7 Mrd. $. Bis Ende Dezember 2010 hatte es 2.7 Mrd. $
erhalten. Dieser Verlust an Einnahmen hatte dramatische Folgen.“
Jean Ziegler fährt fort:
„Für die USA und ihre Marionetten –
die WTO, den IWF und die Weltbank – ist das Recht auf Nahrung abartig. Für sie
gibt es keine anderen Menschenrechte als bürgerliche und politische.
Hinter der WTO, dem IWF, der
Weltbank, der Washingtoner Regierung und ihren traditionellen Alliierten stehen
natürlich die gigantischen Multis. Die zunehmende Kontrolle, die von diesen
Mammutunternehmen in weiten Bereichen der Nahrungsproduktion und Handel
ausgeübt wird, hat natürlich bedeutend die Durchsetzung des Rechtes auf Nahrung
beeinflusst.“ (S. 155)
Nahrung für
Brennstoff
Ein weiterer bedeutender Faktor für
das zunehmend katastrophaler werdende Problem des Hungers in der Welt ist die
Nutzung von Nahrung für Brennstoff, was detailliert in dem Essay „Food for
fuel, a sure way of creating a hunger crisis“ von Jean Ziegler und Siv O'Neall
behandelt wurde.
Es ist natürlich für jeden, der mit
seinem Gehirn denkt, vollständig klar, dass der Anbau von Zuckerrohr, Weizen,
Mais oder anderen Nutzpflanzen auf riesigen Plantagen für die Herstellung von
Ethanol für den Energiebedarf, in erster Linie den Kleinbauern Land wegnimmt
und zweitens Nahrung zerstört, um Benzin in Geländelimousinen zu kippen, die
wir wirklich nicht brauchen.
Außer dieser offenbaren Wahrheit
gibt es die wesentliche Tatsache, dass die Produktion von Ethanol mehr Energie
verbraucht, als sie produziert. Bei dem Prozess wird auch eine enorme Menge an
Kohlendioxid freigesetzt.
Explosives Ansteigen der
Nahrungsmittelpreise seit Beginn von 2007
Die Bühne ist frei für die
wirklichen Tigerhaie, die Finanzspekulatoren. Ohne den Schimmer eines
moralischen Gewissens spekulieren sie mit dem Wert einer Ernte, Land,
Währungen. Geht es hoch oder runter? Egal, sie gewinnen, weil sie immer ihre
Wetten absichern. Die giftigen „Terminhandel“ haben den Konsumwarenmarkt für die
gewissenlosen Haie geöffnet, die sich nur für eine schnelle Mark interessieren.
Diese Leute haben es nicht mit einem wahren Produkt zu tun. Sie kaufen oder
verkaufen weder Getreide noch sonst etwas. Sie spekulieren nur mit dem
Schicksal dieser Waren, des Landes, der Währungen.
Die Preise für Mais, Reis, und
Weizen sind buchstäblich explodiert wegen der Markt-Spekulation mit
Grundnahrungsmitteln. Das ist Markt-Neoliberalismus, der einst als die
selbst-regulierende Kraft des Freien Marktes bezeichneet wurde.
Die Regierungen sehen wohl den
Abgrund, der sich vor ihnen öffnet, aber sie holen gehorsam die Banken aus der
Klemme, wenn die Spieler einen totalen Zusammenbruch verursacht haben oder
bankrott gehen.
Jean Ziegler schreibt (S. 78):
„Der spekulative Wahnsinn der Räuber
des globalisierten Finanzkapitals hat die westlichen Industrie-Staaten von
2008-09 alles in allem 8900 Mrd. $ gekostet. Die westlichen Staaten haben
Billionen gezahlt, um kriminelle Banken zu retten.“
Die Neo-Liberalen behaupten, dass
keine Regulierungen notwendig seien, weil der Markt sich selbst reguliere. Auf
diese Weise können sie frei spekulieren, unbegrenzt handeln und in vielen
Fällen ohne Steuern auf Kapitalgewinne zu zahlen, und ohne Kontrolle oder
irgendwelche Regeln. Außerdem gibt es noch die Steuerparadiese, wo die
Spekulatoren mit ihren Milliarden ohne Kontrolle oder Steuern spielen können.
Für die neoliberalen Haie geht es
nur um eins – die Reichen müssen reicher und die Armen müssen machtlos gemacht
werden. Die Zahl der Armen ist drastisch gestiegen seit Beginn des
Neoliberalismus in den 80-er Jahren (versuchsweise schon in Lateinamerika in
den 70-er Jahren, mit katastrophalen Folgen). Arme Leute werden so unsichtbar,
so stimmenlos gemacht, dass man sie total unbeachtet lassen kann. Das genau ist
das Ziel des Neoliberalismus.
Schlussfolgerung
Es ist umwerfend, wie die Welt in
eine Situation gekommen sein kann, wo sie von hungrigen Haien gelenkt wird ohne
jedes Verständnis, wie die Weltwirtschaft funktionieren kann in einer vernünftigen
Weise. Die Spieler folgen keinerlei Regeln, außer dem Profit, und humanitäre
Erwägungen haben keinen Platz in ihrem Kasino.
Was Jean Ziegler in so erfahrener
und leidenschaftlicher Weise in seinem neuesten Buch tut, das ist, dass er die
Monstrositäten der Welt, in der wir leben, aufzeigt in seinem typischen
energischen Stil und mit seinem Kennzeichen genuiner menschlicher Empathie. Er
erklärt, wie wir dahin kamen, wo wir sind und was getan werden muss, um die
grobe Vernachlässigung der menschlichen Rechte beheben zu können.
Wir können nicht mehr lethargisch in
unseren komfortablen Häusern sitzen, die offensichtliche Propaganda anschauen,
mit der wir von den MSM gefüttert werden, den befangenen Reports über die
US-Kriege lauschen, die, wie sie uns sagen, im Namen der Freiheit und
Demokratie ausgefochten werden. Die Wahrheit ist, dass diese Kriege gefochten
werden, um riesige Profite für die Waffenindustrie und alle riesigen Multis zu
machen. Um Land und ganze Nationen zu unterwerfen oder durch hinterhältige
sogenannte Hilfe so in ein Schuldennetz einzuwickeln, dass sie sich unmöglich
befreien können.
Nach der Lektüre von Jean Zieglers
Buch ist man überzeugt, dass die Zeit zum Handeln gekommen ist, um für das
einzutreten, was wir als die Wahrheit kennen. Der Westen ist korrupt bis
obenhin und, wenn wir, das Volk, zu lethargisch sind, zu ignorant oder
furchtsam, etwas JETZT zu tun, dann werden die Säulen der Welt einstürzen. Und
das wird das Ende sein.
Anmerkungen:
1. Franz. Originalausgabe 'Déstruction massive – Gópolitique de la faim' zuerst
erschienen bei Éditions du Seuil, 2001, Paris. Jean Ziegler war Professor der
Soziologie an der Uni von Genf und an der Sorbonne, Paris. Siehe hier.
2. NAFTA = North American Free Trade Agreement; CAFTA =
3. Eine OXFAM Studie zeigte, dass wo
immer die SAPs zwischen 1990 und 2000 angewandt wurden, da wurden weitere
Millionen in den Abgrund deUn Declaration of Universal rights 1948s Hungers
geschleudert. Ziegler S. 179
4. Für die schrecklichen
Entstellungen und den schließlichen Tod durch die Noma-Krankheit siehe hier.
5.UN-Erklärung der Universellen
Menschenrechte, Artikel 25 siehe hier
6. Dem brasilianischen Arzt de
Castro widmet Jean Ziegler zwei Kapitel seines Buches. Zu
de Castro siehe hier.