Indonesien Geschichte neu schreiben

Deklassifizierte US-Dokumente bringen Details über Einfluss der Westmächte bei Errichtung der Suharto-Diktatur in Indonesien ans Licht

Von Anett Keller

 

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Beste Beziehungen mit der Diktatur: 1996 besuchte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl Indonesien

Foto: dpa

Anett Keller ist freie Journalistin und Herausgeberin des Buches »Indonesien 1965 ff. – Die Gegenwart eines Massenmordes«, Verlag Regiospectra, Berlin 2015

Indonesien ist »strategischer Partner« der Bundesrepublik und zählt zu den größten Empfängern deutscher Rüstungsgüter. Eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zur Rolle der BRD in Indonesien 1965 wurde 2014 folgendermaßen beantwortet: »Die Bundesregierung und auch der Bundesnachrichtendienst haben die in der Frage bezeichneten Gewalttaten nach heutigem Kenntnisstand weder direkt noch indirekt unterstützt

« Der Spiegel hatte bereits 1971 berichtet, dass der BND Indonesiens militärischen Nachrichtendienst 1965 mit Maschinenpistolen, Funkgeräten und Geld im Gesamtwert von 300.000 Mark unterstützt habe. Weiter schrieb der Spiegel im selben Jahr, dass der BND in Indonesien militärische Geheimdienstler ausgebildet habe, um »die von der antiamerikanischen Propaganda hart bedrängten Kollegen von der CIA« abzulösen.

Der Nazi und spätere BND-Chef Reinhard Gehlen (1902–1979) kommentierte 1996 im TV-Magazin »Monitor« die Gewalt von 1965 so: »Der Erfolg der indonesischen Armee, die [...] die Ausschaltung der gesamten kommunistischen Partei mit Konsequenz und Härte verfolgte, kann nach meiner Überzeugung in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.« Ein BND-Kollege von Gehlen spielte damals eine entscheidende Rolle beim Prägen der öffentlichen Meinung. Der Journalist Rudolf Oebsger-Roeder (1912–1992), ehemals SS-Obersturmbannführer, gegen den mehrfach wegen Kriegsverbrechen ermittelt worden war, hatte sich Ende der 50er Jahre nach Indonesien abgesetzt. Er wurde unter dem Namen O. G. Roeder nicht nur der erste und äußerst wohlwollende Biograph von Suharto, sondern auch Korrespondent für westliche Medien wie die Neue Zürcher Zeitung und die Süddeutsche Zeitung. Nazikontinuitäten gab es bekanntermaßen auch in den Botschaften der BRD: Luitpold Werz, von 1953 bis 1960 Botschaftsrat in Argentinien (!), leitete von 1964 bis 1966 die BRD-Vertretung in Jakarta, bevor er Leiter der Ost-West-Abteilung des Auswärtigen Amtes wurde. Sein Nachfolger in Jakarta wurde der Ex-SA-Mann Kurt Lüdde-Neurath, im Zweiten Weltkrieg Diplomat bei der Achsenmacht Japan. Hunderttausende getötete Kommunisten böten eine ausreichende Garantie, dass die neue Regierung alles tun werde, um einen erneuten Linksruck im Land zu verhindern, so Lüdde-Neurath in einer Rede 1967 in Jakarta. Seine Erfahrungen beim »Regime-Change« in Indonesien waren anscheinend wertvoll. Im Frühjahr 1973 wurde Lüdde-Neurath Botschafter in Chile. Den Pinochet-Putsch dort im selben Jahr nannte die CIA übrigens »Operation Jakarta«. (kel) Indonesien und der Einfluss westlicher Großmächte beim Suharto-Putsch und dem Massenmord an Hunderttausenden Menschen vor 50 Jahren zählen zu den blinden Flecken in der Geschichte des Kalten Krieges. Nun bringen in den USA erstmals freigegebene, ehemals als geheim eingestufte Regierungsdokumente etwas mehr Licht ins Dunkel. Die von Militärs und Milizen an Mitgliedern linker Bewegungen 1965/66 verübten Massaker im bevölkerungs- und ressourcenreichsten Land Südostasiens gehören zu den größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts. Bis heute werden Überlebende und ihre Angehörigen stigmatisiert, die Mörder hingegen blieben straflos.Die deklassifizierten Dokumente, insgesamt mehr als 30.000 Seiten, werden der Öffentlichkeit nach und nach vom »National Declassification Centre« und dem »National Security Archive« an der George Washington University in digitalisierter Form zur Verfügung gestellt. 39 Schriftstücke sind zunächst auf der Webseite des Security Archive einsehbar.Es ist die bislang größte Veröffentlichung dieser Art seit Gründung des Declassification Centre im Jahr 2009. Die Filme »The Act of Killing« (2012) und »The Look of Silence« (2014) des US-Regisseurs Joshua Oppenheimer brachten erstmals die Täter des Massenmordes vor die Kamera. Daraufhin setzte sich eine Gruppe von US-Senatoren um den Demokraten Thomas Udall für die Freigabe der Dokumente ein.

Indonesien war nach 300 Jahren niederländischer Kolonialherrschaft und dreijähriger japanischer Besetzung 1945 unabhängig geworden und Gründungsmitglied der Bewegung der Blockfreien Staaten. Als Präsident Sukarno ab Ende der 50er Jahre zunehmend auf Antiimperialismus setzte, westliche Unternehmen verstaatlichen ließ und sich der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) annäherte, wurden einige Regierungen im Westen und Teile der indonesischen Armee äußerst nervös. Indonesien hatte damals nach China und der Sowjetunion die drittgrößte KP der Welt. Nach der Entführung und Ermordung mehrerer Armeeführer, von denen befürchtet wurde, sie wollten gemeinsam mit der CIA Präsident Sukarno entmachten, setzte sich Generalmajor Suharto an die Spitze, zunächst der Armee und dann des Staates. Er untermauerte seine Macht, indem er der PKI die Schuld an der Ermordung der Generäle gab. Militärmedien verbreiteten grausame Lügen über die Entführungsaktion. So hieß es unter anderem, dass Frauen der linken Organisation Gerwani den entführten Generälen die Penisse abgeschnitten und die Augen ausgestochen hätten. Das widersprach den Autopsieergebnissen. In der Folge sahen sich zahlreiche Frauen grausamer Folter und Vergewaltigung als »Vergeltung« ausgesetzt.

https://www.jungewelt.de/bannerdeliver.php?id=1809&tsp=1509434162Die US-Dokumente, überwiegend diplomatische Korrespondenz aus den Jahren 1964 bis 1968, liefern nun weitere Details dazu, wie die Botschaft der Vereinigten Staaten in Jakarta über die antikommunistische »Säuberungsaktion« des indonesischen Militärs Buch führte und diese gleichzeitig nach Kräften unterstützte. So informierte US-Botschafter Marshall Green in einem Telegramm vom 18. Oktober 1965 aus Jakarta den Außenminister in Washington über antikommunistische Gewalt in Sumatra, Sulawesi und Java. Er informierte ihn auch über Folter an einem der Entführer der Generäle und dessen »Geständnis«, die PKI sei der Drahtzieher. Greens indonesischer Informant empfahl zudem, einige der PKI-Führer »aufzuhängen« und lobte Suharto als »guten, starken Mann«. Weitere Telegramme berichten über die Zerschlagung linker Organisationen und die zunehmende militärische Gewalt.

Die US-Dokumente zeigen auch: Deutsche Diplomaten in Jakarta loteten offenbar die Unterstützung für Suhartos Militär und den »Regime-Change« aus. In einem Telegramm der US-Botschaft vom 12. Oktober 1965 ist von Gesprächen zwischen einem »vertrauenswürdigen deutschen Geschäftsmann« und einem Vertreter der indonesischen Armee die Rede. Eine Information, die ein deutscher Botschaftsmitarbeiter den US-Diplomaten zukommen ließ. Der deutsche Geschäftsmann deutete Pläne des Militärs an, Präsident Sukarno zu entmachten und ihn durch eine »kombinierte zivil-militärische Junta« zu ersetzen.

In den Folgejahren wurde Indonesien ins kapitalistische Wirtschaftssystem reintegriert.

US-Präsident Richard Nixon rechtfertigte bereits 1965 die Bombardierung Nordvietnams stramm im Sinne der Dominotheorie mit dem »Schutz« der beträchtlichen Bodenschätze des Inselstaates. Zwei Jahre später sprach er von dem Land als »Hauptgewinn in Südostasien«. Im Dezember 1967 richtete der Medienkonzern Time.Inc. in Genf die »Investorenkonferenz für Indonesien« aus. Time-Chef James A. Linen sagte unverblümt, das Ziel sei, »ein neues Klima zu schaffen, in dem Privatunternehmen und Entwicklungsländer für ihr beiderseitiges Interesse und ihren Profit und für den noch größeren Profit der freien Welt zusammenarbeiten«.

Das tun sie bis heute. Deswegen gibt es an der Aufarbeitung der Gewalt auch wenig staatliches Interesse, weder in Indonesien noch im West

Quellen:  https://www.jungewelt.de/artikel/320725.geschichte-neu-schreiben.html

http://www.t-online.de/tv/news/id_82590614/blutiger-putsch-unter-deutscher-beteiligung.html