Globaler
Marsch der Schande für den Jüdischen Staat Kommentar live aus Beirut
von Evelyn Hecht-Galinski
Selten hat mich eine Reise so bedrückt und solche kaum in Worte zu fassende
Eindrücke hinterlassen, wie diese in den Libanon. War ich noch froh, am 27.
März überhaupt gelandet zu sein, da am Frankfurter Flughafen unvorhergesehener
Weise gestreikt wurde, so verflog die Freude sehr schnell. Am 28. trafen wir
uns, Teilnehmer aus allen Ländern und Kontinenten um den Marsch zu besprechen.
Dort teilte uns der libanesische Koordinator des Marsches mit, es würde nur
erlaubt sein, dass bis zu 5.000 Teilnehmer zur Demonstration in die Beaufort
Festung fahren dürften.
Hier zeigte sich wieder einmal das
Zusammenspiel der libanesischen Regierung und israelischer Wünsche. Hatte nicht
Israel massiv Einfluss genommen, diesen Marsch zu verhindern, bzw. dort zu
beenden, wo es der Jüdische Staat wollte? Erschreckend für mich, wie alle, auch
alle von Fatah, bis Hisbollah dieses Spiel mitspielten. Die Abbas Behörde, ganz
klar, ist es ja gewöhnt mit Israel zusammenzuarbeiten, aber dass auch die
Hisbollah, seit sie mit in der Regierung im Libanon sitzt, sich so
zurückhaltend verhält, war für mich neu. Ebenso neu für mich war, dass der
Vertreter der PFLP, der Volksfront für die Befreiung Palästinas, unter den
Augen von deren Gründer George Habasch auf einem Foto, anlässlich unseres
Besuches auf Nachfragen nur vage Antworten gab, nicht auf Fakten einging,
sondern ganz nach der mir schon allzu bekannten Manier Hoffnung verkaufen
wollte! Ja so sind sie, die Funktionäre, in schönen Hemden und Anzügen: sie
arrangieren sich mit der Situation. Ein Trauerspiel für die Flüchtlinge! Diese Reise
zeigt mir auch, wie das palästinensische Volk von allen Seiten, auch von der
eigenen verkauft wird. Eine asiatische Aktivistengruppe auf einem Schiff bekam
zwar Visa, musste aber ohne Wasser und Essen an Bord bleiben. Erst nach zähen
Verhandlungen durften sie nach Tagen das Schiff verlassen. Ein ernüchterndes
Trauerspiel!
28. März: Schattila und Sabra
Am 28. März fuhren wir mit Bussen
nach Schattila und Sabra und weitere Flüchtlingslager. Es gibt dort insgesamt
12 Lager, verstreut über den ganzen Libanon, mit etwa 450.000 Bewohnern.
Regiert werden sie autonom, Strom und Wasser haben sie erst seit kurzem und
nicht überall. Sie werden diskriminiert, und es ist ihnen verboten 74 Berufe
auszuüben. Sie dürfen keine Häuser und kein Land erwerben und haben nur
staatenlose Pässe, mit denen sie nirgends einreisen dürfen. Der Pass dient
lediglich als Identitätsnachweis.
Trotz mehrfacher Eingaben im
libanesischen Parlament hat sich bis zum heutigen Tag an diesen Gesetzen nichts
geändert. Die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for
Palestine Refugees) sponsert die Kosten für den Unterricht an Schulen
und Universitäten und verwaltet dieses Grauen damit unter den Augen und mit
Zustimmung der Welt. Das Problem dieses Flüchtlingselends existiert nicht erst
seit 1967, sondern begann schon mit der Nakba, der Katastrophe für die
Palästinenser 1948. Auch Oslo war eine Farce und berücksichtigte weder das
Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge, noch die saubere und
ehrliche und annehmbare Teilung. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass
in dieser Wirklichkeit von Hoffnungslosigkeit und Hölle auf Erden eine
Brutstätte für Selbstmordattentäter erwächst.
Viele der Lager wurden in Kriegen
zerstört und Israel zerstreute die Einwohner. Im Libanon sieht man überall die
Folgen der israelischen Zerstörungswut und Kriegslüsternheit. In Schattila
besuchten wir ein Massengrab von 3.000 Einwohnern von Sabra und Schattila. Ein
beklemmendes Bild und ein schrecklicher Gedanke, über Gras zu laufen, unter dem
die Leichen der Ermordeten liegen. Mit einem Erinnerungsstein erinnert man an
dieses Massaker, das die israelische "Verteidigungs Armee", zusammen
mit Christlichen Milizen anrichtete. Auch konnte ich mich hier an diesem Ort
des Grauens mit eigenen Augen und Zeugenaussagen von einer Legende
verabschieden, die Israel immer wieder wiederholt, die aber dadurch nicht
wahrer wird. Israel hat nicht nur zugeschaut (was schon schlimm genug wäre),
sondern Scharon saß als Oberbefehlshaber im naheliegenden Fußballstadion und
erklärte den Soldaten alle Straßen, die bereits mit israelischen Übersetzungen
kenntlich gemacht waren, damit die israelische Armee schneller und effizienter
morden konnte. Das traurige Ergebnis kennen wir alle nur zu gut, aber an diesem
Ort des Horrors zu stehen, am Rande des Lagers, ist zutiefst traurig und
beschämend.
Nach diesen Eindrücken konnte ich
die ganze Nacht nicht schlafen. Glücklicherweise war mein Mann bei mir, so dass
wir das gemeinsam verarbeiten konnten. Diese Lager wären sicher einen Besuch für
die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wert!
29. März: Beirut - Gedenkstätte und
Botschafter der Abbas-Behörde
Am 29. März fuhren wir zu einer
Presse Konferenz in das Presse-Center von Beirut, wo ein Pulk von Journalisten
auf uns wartete. Dort stellten sich alle Aktivisten aus allen Ländern vor und
trugen ihre Statements vor. So konnten die Organisatoren noch einmal zeigen,
dass es ihnen tatsächlich gelungen war, alle Gruppen und verschiedene
Religionen wie Christen, Muslime und Juden oder Nichtgläubige zu einem Globalen
Marsch gegen die Judaisierung Jerusalems zu vereinen und gegen die
unrechtmäßige Besatzung palästinensischen Landes durch Israel. Erinnert doch
das Datum des 30. März an den "Tag des Bodens" von 1976, an dem die
israelische Armee bei Protesten gegen diesen Landraub in Galiläa drei
palästinensisch-israelische Frauen und drei palästinensisch-israelische Männer
durch Schüsse ermordete.
Pünktlich und passend zu diesem
"Tag des Bodens" kam eine Karte an die Öffentlichkeit, ein interner
Bericht der israelischen Zivilverwaltung in der Westbank, die dem israelischen
Verteidigungs- (richtig: Kriegs-) Ministerium untersteht. Diese Karte skizziert
die fiktiven Flächen und Gemeinden, wie "Lev Hashomron" (Herz
Samarias), "Mevo Adumim" und andere wie immer blumige Namen, die sich
Israel immer wieder für seine Angriffskriege ausdenkt. Diese 569 Parzellen
umfassen etwa 10 Prozent der gesamten Westbank, auch in der von der
Palästinenser Behörde verwalteten A- und B-Zone, insgesamt 630 Quadratkilometer.
Dadurch sollen bestehende Siedlungen legalisiert werden, zusammen mit der
Apartheidmauer. Und hierdurch sieht man auch ganz genau, dass die Regierung
viel mehr für den Siedlungsbau tut, als bisher angenommen!
Danach besuchten wir eine
Gedenkstätte mit den Gräbern der vielen im Krieg gegen Israel gefallenen
Widerstandskämpfer. Ich sprach an diesem schrecklichen Ort mit einer
Professorin der Beiruter Universität, die hier ein Dutzend ihrer besten
Studenten beerdigt sah und die deren Gräber immer wieder besucht. Auch hier
konnte man wieder hautnah die israelische Politik "der ausgestreckten
Hand" erleben.
Danach ging es zu einem Empfang und
einem Lunch zu dem der palästinensische Vertreter, also der Botschafter der
Abbas-Behörde im Libanon eingeladen hatte. Ich hätte es als viel wichtiger
angesehen, wenn sich diese Vertreter mehr dafür eingesetzt hätten, dass auch
die Flüchtlinge aus dem Lager in genügend vielen Bussen zu den Demonstrationen
zum "Tag des Bodens" transportiert werden konnten. So aber mussten
die Flüchtlinge in den Lagern bleiben und logistische Begründungen mussten
dafür herhalten, dass man sich so vornehm zurückhielt. Klar, man will es sich
mit Israel nicht verderben, wo die Zusammenarbeit doch so reibungslos klappt.
Siehe auch "Palästina Papiere".
30. März: Demonstration im Süden
Am 30. März versammelten wir uns
pünktlich um 8.30 Uhr am vereinbarten Treffpunkt um von den Bussen abgeholt zu
werden, die die Teilnehmer zum Beaufort Castle im Süden bringen sollten. Durch
verschiedene Probleme verzögerten sich Abfahrt und Weiterfahrt. Auf dem Weg in
den Süden kontrollierte die Armee die Insassen der Busse. So erreichte der
Konvoi erst gegen 13:30 das Ziel. Dort wurden die Teilnehmer von einem Spalier
von Würdenträgern, auch vom palästinensischen Botschafter und jeder Menge
Presseleute erwartet. Schade, dass es nur etwa 2.000 Palästinensern mit Flaggen
in der Hand möglich war dieser Demonstration beizuwohnen. Bei der Kundgebung
wurden die Reden zwar sehr laut, aber leider nur in arabischer Sprache, nicht
übersetzt, gehalten, aber es wurde gesungen und getanzt und es wurden
Luftballons in den palästinensischen Farben gen Israel in den Himmel
losgelassen.
Nach etwa zweieinhalb Stunden war
diese Demonstration beendet, über die in den meisten Berichten behauptet wird,
es hätten 5.000 Menschen daran teilgenommen. Tatsächlich waren wir aufgrund der
zugunsten Israels durchgesetzten Widrigkeiten nicht mehr als 2.000 ausländische
Aktivisten. Am Ende wurden wir zu einem Kriegsmuseum gebracht, wo wir den
heldenhaften Widerstand gegen die Israelis erklärt bekamen und israelische
Kriegsutensilien wie erbeutete Panzer und Helme sahen.
31. März: Rückblick
Wieder einmal ist ein "Tag des
Bodens" vergangen. In Ost-Jerusalem, wo der jüdische Staat offiziell ja
auch für Glaubensfreiheit eintritt, wurde Palästinensern das Freitagsgebet in
der Moschee verwehrt, sie beteten auf der Straße und wurden dafür von der
israelischen Armee verhaftet. Aus Hebron, Bethlehem und Ost-Jerusalem wurden
Zusammenstöße gemeldet, mindestens 100 verletzte Palästinenser, da die
israelische Armee sofort schoss, wenn sich Palästinenser der Grenze näherten.
Die Armee setzte gegen sie Wasserwerfer mit stinkendem Wasser, Gummigeschosse
und Tränengas ein. Dabei wurde auch der palästinensische Parlamentarier Mustafa
Barguti von einer israelischen Tränengasgranate am Kopf verletzt, und nicht wie
Israel behauptete, von einem Palästinenser. Marwan Barghouti (1) rief aus
israelischer Haft zum BDS auf und forderte die Palästinenser-behörde auf, nicht
mehr mit Israel zu verhandeln, da dieses kein Partner für den Frieden
sei.
Wir sind sehr froh, über alle
religiösen und ethnische Grenzen hinweg unsere Solidarität mit dem
palästinensischen Volk bewiesen zu haben. Die Aktion war ein Zeichen gegen die
israelischen Menschenrechtsverletzungen, gegen den Landraub und die
unaufhörliche ethnische Säuberung Palästinas durch den jüdischen Staat.
"Nicht in meinem Namen. From the River to the Sea Palestine will be
free!" war ein schönes Schlusswort. (PK)
(1) Hierzu ein Artikel von Uri Avnery in der nächsten Ausgabe vom 4. April
Evelyn Hecht-Galinski ist
Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der
Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Unsere LeserInnen kennen sie als Autorin
der Serie, die sie normalerweise "vom Hochblauen", ihrem
Online-Flyer
Nr. 347 vom 31.03.2012