In Israel
werden wieder die Kriegstrommeln gerührt
Ilan Pappe
Countercurrents 27.
Dezember 2010
In Israel werden wieder die
Kriegstrommeln gerührt. Der Grund: Israels Unbesiegbarkeit steht wieder einmal
in Frage. Zwei Jahre nach der Aktion „Gegossenes Blei“ und trotz der
Triumphalrhetorik dazu in den Jubiläumsberichten verschiedener israelischer
Medien herrscht das Gefühl, dass die Gaza-Kampagne ein ebenso großer Fehlschlag
war wie der zweite Libanonkrieg von 2006. Leider kennen die politischen Führer,
die Generäle und die Öffentlichkeit im jüdischen Staat nur eine Art des Umgangs
mit militärischen Niederlagen und Fiaskos: So etwas kann nur wieder gut gemacht
werden durch eine weitere und diesmal erfolgreiche Militäroperation
oder einen Krieg. Das muss mit größerer Gewalt und Rücksichtslosigkeit
geschehen, in der Hoffnung, dass die nächste Runde mehr Erfolg bringt.
Macht und Stärke sind notwendig, um
den Feind abzuschrecken, ihm eine Lektion zu erteilen und ihn zu schwächen, so
erklären führende Kommentatoren in den einheimischen Medien und plappern
damit nach, was sie von den Generälen hören. Es gibt keinen neuen Plan für
Gaza, man will Gaza auch nicht wieder besetzen und unter Direktherrschaft
bringen. Die Vorstellung geht dahin, auf Gaza und seine Bevölkerung wieder mit
Bomben ein zu schlagen, diesmal aber noch brutaler, wenn auch weniger lange.
Was soll dabei anderes herauskommen als bei der Operation „Gegossenes Blei“,
kann man fragen. Falsche Frage. Richtig muss man fragen, was kann die heutige politische
und militärische Elite Israels (einschließlich Regierung und
Oppositionsparteien) denn anderes tun?
Seit Jahren wissen sie doch, wie man
es im Westjordanland machen muss: Kolonisierung, ethnische Säuberung und
Aufteilung des Gebiets bis zum Verschwinden, dabei aber nach außen hin
Festhalten am sinnlosen Diskurs von Frieden oder besser „Friedensprozess“.
Endergebnis soll eine hörige palästinensische Behörde inmitten eines weitgehend
judaisierten Westjordanlandes sein.
Wie allerdings der Gazastreifen
gemanagt werden kann, davon haben sie seit Ariel Sharons „Trennung“ keine
blasse Vorstellung. Die Weigerung der Bevölkerung von Gaza, sich von der
Westbank und dem Rest der Welt trennen zu lassen, dieser Wille ist offenbar
unmöglich zu brechen, sogar nach den entsetzlichen menschlichen Verlusten, mit
denen die Menschen in Gaza im Dezember 2008 für ihren trotzigen Widerstand
zahlen mussten.
Das Szenario für die nächste Runde
enthüllt sich direkt vor unseren Augen. Es ist deprimierend, wie sehr es der Verschlechterung
der Lage gleicht, die dem Gaza-Massaker vor zwei Jahren voranging: tägliches
Bombardement und eine Politik, die es darauf anlegt, Hamas zu provozieren, um
noch schwerere Schläge zu rechtfertigen.
Jetzt ist es notwendig, so erklärt
ein General, die schädliche Wirkung des Goldstone-Berichts einzukalkulieren:
der nächste große Überfall muss plausibler aussehen als der von 2008/2009. (Für
die derzeitige Regierung mag diese Sorge allerdings nicht so ausschlaggebend
und auch kein Hindernis sein.)
Wie immer in diesem Teil der Welt
sind andere Szenarien möglich – weniger blutig und vielleicht mit etwas mehr
Hoffnung. Aber man tut sich schwer, jemanden auszumachen, der in naher Zukunft
etwas anderes bewirken kann: Die perfide Obama-Administration? Die hilflosen
arabischen Regime? Das kleinlaute Europa oder die lahmgelegten Vereinten
Nationen? An der Widerstandskraft der Menschen in Gaza und des
palästinensischen Volkes insgesamt wird die grandiose israelische Strategie
scheitern, sie allmählich zum Verschwinden zu bringen. Darauf hatte ja bereits
Theodor Herzl, der Gründer der zionistischen Bewegung ganz am Ende des
19. Jahrhunderts gesetzt. Aber der Preis könnte noch steigen. Es ist hohe Zeit,
dass alle, die erst nach dem Gaza-Massaker vor zwei Jahren ihre Stimmen
laut und wirkungsvoll erhoben, es diesmal jetzt und rechtzeitig tun, um
ein neues Massaker abzuwenden.
Diese Stimmen gelten in Israel als
Versuch, den jüdischen Staat zu „delegitimisieren“. Es sind die einzigen
Stimmen, die Regierung und intellektuelle Elite Israels offenbar ernsthalft
beunruhigen (viel ärgerlicher als die weiche Verurteilung durch Hilary Clinton
oder die EU). Der erste Versuch, diesen Stimmen entgegen zu treten, war die
Behauptung, Delegitimierung sei verkappter Antisemitismus. Dieser Schuss
ist offenbar nach hinten losgegangen. Israel wollte wissen, wo in der Welt es
Unterstützung für seine Politik findet. Und es stellte sich heraus, dass die
einzigen enthusiastischen westlichen Unterstützer der israelischen Politik dieser
Tage aus dem rechten Flügel kommen, von den traditionell antisemitischen
Organisationen und Politikern.
Im zweiten Versuch wird behauptet,
dass Versuche zur Delegitimierung in Form von Boykott, Investitionsentzug und
Sanktionen (BDS) Israel nur darin bestärken, sich weiter zum Schurkenstaat zu
entwickeln. Dies jedoch ist eine leere Behauptung. Israels Politik wird nicht
von solchen moralischen und anständigen Stimmen gemacht. Im Gegenteil: diese
Stimmen gehören zu den wenigen Faktoren, die der Aggressionspolitik Zügel
anlegen können. Wer weiß, ob in Zukunft nicht westliche Regierungen auf ihre
Völker hören, wie es am Ende im Fall der Apartheid Südafrikas geschah. Eine
Entwicklung, die dieser Politik ein Ende setzt und es Juden und Arabern
ermöglicht, in Israel und in Palästina in Frieden miteinander zu leben.
Diese Stimmen wirken, weil sie die
Verbindung zwischen dem rassistischen Charakter des Staates und der
verbrecherischen Natur seiner Politik gegen die Palästinenser offenbaren. Diese
Stimmen artikulieren sich seit kurzem in einer Kampagne mit einer klaren
Botschaft: Israel bleibt ein Paria-Staat, so lange seine Verfassung,
Gesetzgebung und Politik die grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte der
Palästinenser einschließlich ihres Rechts auf Leben und Existenz verletzen, wo
immer sie leben,
Was jetzt nötig ist: die noble, aber
total vergeudete Energie, die das israelische Friedenslager und seine
Verbündeten im Westen in das Konzept von Koexistenz und Dialog investieren,
muss in den Versuch re-investiert werden, ein weiteres Kapitel des Völkermords
in der Geschichte von Israels Krieg gegen die Palästinenser zu verhindern,
bevor es zu spät ist.
Übersetzung aus dem Englischen:
Ulrike Vestring
Quellen: http://www.schattenblick.de/infopool/politik/brenn/p1ga0011.html
http://www.countercurrents.org/pappe271210.htm
http://mondoweiss.net/2010/12/the-drums-of-war-are-heard-again-in-israel.html
Ilan Pappe, einer der mutigsten
Kritiker der israelischen Politik, ist Professor an der Universität von Exeter
in England. Auf der kürzlichen Palästina Konferenz in Stuttgart Ende
November 2010 vertrat er die These, dass die Errichtung eines selbständigen und
lebensfähigen Staates Palästina scheitern werde. Deshalb solle man schon heute
die Bildung eines einzigen demokratischen und multiethnischen Staats Israel/Palästina
vorbereiten.
Pappes Eltern stammen aus
Deutschland, sie flohen in den 1930er Jahren vor dem Nazi-Terror. Er diente in
der israelischen Armee während des Yom Kippur Krieges 1973 auf den Golanhöhen. 1978 schloss er sein Studium an der
Hebräischen Universität Jerusalem
ab. Von 1984 bis 2007 war er Professor für politische Wissenschaften an der Universität Haifa. Heute lehrt
er an der Universität Exeter in England.