Juliano Mer Khamis,
29.5.1958 – 4.4.2011
Am 4. April
2011, wurde unser Freund, Kollege und Projektpartner Juliano Mer Khamis auf
offener Straße im palästinensischen Flüchtlingslager Jenin erschossen. Der
Schauspieler und Filmemacher Juliano Mer Khamis war Direktor des
medico-Partners Freedom Theatre in Jenin – einem Ort der künstlerischen und
politischen Freiheit, der der israelischen Besatzung ebenso widersteht wie den
patriarchalen und religiös verbrämten lokalen Machtsstrukturen.
Zurück
blieben seine Weggefährten. Für sie und uns alle war der Mord an Juliano eine
persönliche und politische Tragödie. Hinzu kam die Frage, ob und wie das
Theater ohne seinen charismatischen Gründer weiterexistieren kann. Abgesehen
von der Unmöglichkeit, den Mentor, das Gravitationszentrum dieser Institution
zu ersetzen, hängt ein Damoklesschwert über Jenin: Der Mord offenbarte, wie
explosiv die Situation, wie selbstzerstörerisch der Strudel der Gewalt geworden
ist. Die Verunsicherung der ersten Wochen und Monate, in denen sie alle auch
persönlich bedroht fühlten und sich fragten, ob auf den einen Mord nicht ein
zweiter folgt, weichte erst nach und nach. Geblieben ist ein fahler Geschmack
angesichts der sich hinziehenden Morduntersuchungen der palästinensischen und
israelischen Sicherheitsapparate. Nachdem die palästinensischen Behörden über
Monate keinen Fortschritt haben erzielen können, übergaben sie den Fall den
israelischen Behörden. Diese gingen gewohnt martialisch vor: Statt Zeugen
aufzufordern zu einer Vernehmung zu erscheinen, drangen schwerbewaffnete
Uniformierte mehrmals mitten in der Nacht in das Theater und in Wohnhäuser ein.
Türen wurden eingetreten, Fenster gingen zu Bruch, Wohnungen durchwühlt.
Schauspielschüler, Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder des Theaters wurden in
der Regel gefesselt und mit verbundenen Augen vor den Augen ihrer Familien
abgeführt. Sie blieben teilweise wochenlang in Haft, bei manchen wussten die
Angehörigen tagelang nicht, wo sie sich befanden, während andere bis zu zwei
Wochen lang weder Anwalt noch Familie sehen durften. Bis heute ist der Mord an
Juliano nicht aufgeklärt worden. Zum Stand der Ermittlungen verweigern die
Behörden jede Auskunft.
Die
Weggefährten Julianos schworen sich, dass der Mord nicht der Schlussakt des
Freiheitstheaters gewesen sein darf. In Wahrheit wusste niemand, ob es das
Theater in 2012 noch immer geben würde. Ein Jahr später scheint das Theater
wieder Fuß gefasst zu haben. Nach einer Reihe von Gastspielen im Ausland,
darunter einer langen und umjubelten Tournee in Deutschland, die gewiss auch
dazu diente, dringend notwendige Distanz von den sich überschlagenden
Ereignissen in Jenin zu ermöglichen, widmet sich das Theater seiner der Arbeit
mit marginalisierten Gemeinden.
Das neuste
Projekt ist das "Playback Theatre". In verschiedenen Orten in der
Westbank wird die ganze Gemeinde eingeladen an einem interaktiven
Theatererlebnis teilzunehmen. Unter Leitung von besonders geförderten jungen
Schauspielschülern nimmt die ganze Gemeinde an einem interaktiven
Theatererlebnis teil: Das Publikum erzählt eigene Geschichten, die dann von
Schauspielern und Musikern improvisatorisch inszeniert werden. Besonders
Augenmerk liegt auf die marginalisierten palästinensischen Gemeinden in den C-Gebieten, die besonders stark unter der israelischen
Segregations- und Verdrängungspolitik leiden.
Etwa in Khan
Al-Ahmar. Die Beduinengemeinde Jahalin südöstlich von Jerusalem ist akut von
einer Vertreibung bedroht. An dem Theaterabend erzählen Gemeindemitglieder,
dass sie ihren Kindern nicht mehr als Essen kaufen können, wie sie um oft um
ihren miserablen Tagelohn gebracht werden, wie ihre Ziegen und Schafe, das
einzige, was sie ihr eigen nennen können von Soldaten konfisziert oder erlegt
werden und wie ihre ärmlichen Behausungen immer wieder von der israelischen
Armee zerstört werden. Am Ende des Abends sagte einer der Teilnehmer: “Wir
sprechen so gut wie nie über unser Leben, da wir alle mehr oder weniger das
gleiche erleben Aber heute Abend haben wir unser eigenes Leben auf der Bühne
gesehen. Da habe ich mehr über das Leben der Anderen gelernt, und auch über
mich. Ich habe uns noch nie so stark als Gemeinschaft betrachtet.“ Eine
kraftvolle Art, gemeinsamen Kampf und Widerstandskraft zur Sprache zu bringen.
Zur Haltung
des Juliano Mer Khamis und zu seiner Handlung gibt es keine Alternative. Das
Freedom Theatre wird, so gut es geht, in seinem Sinne die Arbeit fortsetzen.
medico international begleitet sie weiter.
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