MH17-Prozess:
Keine belastbaren Satelliten- und Radardaten
11. Juni 2020 Florian Rötzer
USA, China
und Russland liefern keine Satellitenbilder, die niederländische
Staatsanwaltschaft hat wenig belastbare Beweise für die Behauptung, dass ein
russisches Buk-System das Flugzeug abgeschossen hat
Am 8., 9.
Und 10. Juni fand erneut Verhandlungen im Rahmen des Anfang März begonnenen
MH-17-Prozesses im Justizkomplex am Schiphol-Flughafen mit dem Vortrag der
Anklage der Staatsanwaltschaft statt. Der erst sechs Jahre nach
dem Abschuss der malaysischen Passagiermaschine mit einer bislang dürftigen
Beweislage gestartete Prozess wurde durch die Coronavirus-Pandemie
ins mediale Abseits gestellt.
Auch jetzt
war die Öffentlichkeit ausgeschlossen, nur zwei Verteidiger von Oleg Pulatow - der einzige der vier Angeklagten, der sich vor
Gericht vertreten lässt -, zwei Anwälte der Opferangehörigen und einige
Journalisten wurden eingelassen. Das Pressezentrum war geschlossen, die Sitzung
wurde wie immer mit einem Live Stream übertragen, der aber nicht archiviert
wird. Ausgerechnet Ruptly stellt das archivierte
Video zur Verfügung. Das Interesse kann vielleicht auch daran abgelesen werden,
dass zur abschließenden Pressekonferenz kaum jemand erschienen ist und nur
zwei Fragen schriftlich gestellt wurden. Danach wird das Girkin-Interview
von der Staatsanwaltschaft mit als Beweismittel verwendet und wuchs die Akte
weiter von 36.000 auf 40.000 Seiten. Die Frage kam deswegen auf, weil zur Akte
weitere Fotos, Berichte und andere Dokumente hinzugefügt und an die Richter und
Verteidiger verteilt worden waren.
Überaschenderweise
hatte der Vorsitzende Richter Hendrik Steenhuis am
23. März die Staatsanwaltschaft aufgefordert, die angeblich vorhandenen
amerikanischen Satellitenbilder dem Gericht vorzulegen. Der damalige
US-Außenminister John Kerry hatte kurz nach dem Abschuss behauptet, die
US-Regierung sei im Besitz von Radarbildern, die beweisen würden, dass MH17 vom
Separatistengebiet abgeschossen wurde. Er bezog sich darauf, dass der
niederländische Geheimdienst Einblick in die Dokumente genommen hatte (Richter
verlangt Vorlage von US-Satellitenbildern). An dieser Stelle sei verwiesen af
John Helmers Blog, auf dem er minutiös und kritisch den Prozess begleitet und
die wichtigsten Punkte wiedergibt - wie hier für den 8. Juni über die
amerikanischen Satellitenbilder. Begleitend dazu gibt es die Sitzungstage via-Ruptly-Videos und die Zusammenfassungen des Gerichts (hier für den 8. Juni).
Geheimnisvolles
Memorandum
Am 8. Juni
sagte Steenhuis nach Auskunft der Staatsanwaltschaft,
es sei 2014 eine Anfrage wegen der Satellitenbilder an die US-Regierung
gegangen, worauf ein "Memorandum" geschickt wurde. Einem auf
Terrorbekämpfung spezialisierten Staatsanwalt sei es ermöglicht worden, das
Memorandum anhand der ihm vorgelegten Geheiminformationen, die er vertraulich
behandeln musste, zu überprüfen. Offenbar beurteilte er es auch durch Beratung
mit anderen ungenannten Quellen als korrekt. Dazu hieß es in dem Memorandum, dass
von seiten der USA keine "zusätzlichen Angaben
über den Abschuss der Rakete" gemacht werden können. "Das war die
Antwort der Staatsanwaltschaft auf die Frage des Gerichts", so Steenhuis abschließend. "Das Gericht versteht dies,
dass als Ergebnis keine weiteren Informationen der Akte hinzugefügt wird."
Das heißt,
das nichtssagende Memorandum wird der Akte hinzugefügt, es bleibt offen, ob es
diese Satellitenbilder gibt und was auf ihnen zu sehen ist. Zwar gibt das
Pentagon grundsätzlich keine Satellitenbilder von militärischen Satelliten
heraus, aber man kann sich natürlich fragen, warum hier nicht eine Ausnahme
gemacht wird, nachdem sich die damalige US-Regierung so weit
aus dem Fenster gelehnt hat, und wenn die Bilder tatsächlich beweisen sollten,
dass die Rakete vom Gebiet der Separatisten abgeschossen wurde. Das erinnert
ein wenig an die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen (Rumsfeld und
der Gottesbeweis).
Zweifel
lösten von Bonanza Media veröffentlichte Dokumente, nach denen der niederländische
Militärgeheimdienst 2016 mit Verwies auf befreundete Dienste festgestellt
hatte, dass keine der russischen oder ukrainischen Buk-Systeme um den
Abschussort so lokalisiert waren, dass sie hätten MH17 abschießen können. Die
in bevölkerten Gebieten stationierten russischen Buk-Systeme seien auch nach
Beobachtung der Partner nicht benutzt worden. Man muss annehmen, dass die
westlichen Geheimdienste hätten wissen müssen, wenn ein Buk-System aus Russland
über die Grenze in die "Volksrepublik Donezk" gebracht worden wäre.
Ausdrücklich schrieb der MIVD-Generalmajor Onno Eichelsheim,
dass es unwahrscheinlich sei, dass ein Buk-System der ukrainischen Armee so
schnell in Reichweite von MH17 hätte gebracht werden können. Auf der Seite der
Separatisten habe es nur ein funktionsunfähiges Buk-System gegeben (Geleakte Dokumente).
Es gibt kein
Satellitenbild von dem Buk-System, das MH17 abgeschossen haben soll
Am Dienstag
verlas die Staatsanwaltschaft ihre Anklage (Video, zum Nachlesen sei wieder auf den Bericht von John Helmer verwiesen). Dabei
ging es neben Radardaten auch wieder um Satellitenbilder. Der Staatsanwalt Thijs Berger sagte, dass Satellitenbilder nicht nur von den
USA, sondern auch von China und Russland verlangt worden seien. Er gab immerhin
den Namen des Staatsanwalts weiter, dem es erlaubt worden sei, die
Satellitenbilder oder vielleicht auch nur "Informationen" einzusehen:
Simon Mink.
Die USA
wollen die Satellitenbilder nicht herausrücken (oder haben keine), sie hätten
nur andere Informationen weitergeleitet, sagte der Staatsanwalt. Russland habe
erklärt, man habe die Bilder nicht gespeichert, China räumte ein, dass es einen
Satelliten über der Ostukraine zur Zeit des Abschusses gab, aber dass er nicht
einsatzfähig gewesen sei.
Die von der
Ukraine gelieferten Radardaten seien unvollständig, überhaupt wird wieder
bestätigt, dass angeblich die ukrainischen zivilen und militärischen
Radarstationen just an diesem Tag abgeschaltet waren. So soll auch die
Radarstation des Flughafens Dniepropetrovsk außerhalb
der Reichweite von MH17 beim Absturz gewesen sein. Die Aufzeichnung eines
Telefongesprächs zwischen einem Fluglotsen in Dniepropetrovsk
mit einem russischen Fluglotsen in Rostow würde aber belegen, dass das Radar
durchaus in Reichweite war. Die Radardaten der Nato-AWACS-Flugzeuge seien auch
nicht relevant.
Die Russen
hätten schließlich primäre und sekundäre Radardaten weiter
gegeben. Aber auch die könnten nicht beweisen, dass keine russische
Buk-Rakete abgefeuert worden sei, die anderen Radardaten hingegen könnten nicht
zweifelsfrei beweisen, dass es eine russische Rakete gab, woran die
Staatsanwaltschaft aber festhält. Das führt zu seltsamen Konstruktionen.
Obgleich auf den russischen Radardaten keine Rakete zu sehen sei, schließe dies
nicht aus, dass doch eine MH17 abgeschossen habe. Man könne auch keine Hinweise
auf ein anderes Flugzeug in der Nähe von MH17 finden. Während die
Staatsanwaltschaft ausschließt, dass ukrainische Kampfflugzeuge zur Zeit in der Nähe waren, was von einigen Zeugen behauptet
wird, schließt man nur aus, dass es keinen Beweis für die Abwesenheit einer
Rakete gebe. Auf weitere Radardaten brauche man aber nicht zu hoffen.
Auch
angefragte kommerzielle Satellitenbetreiber wie Google Earth oder Geoserve hätten keine "Bilder der relevanten
Orte" bieten können. Auf jeden Fall gibt es kein Satellitenbild von dem
angeblichen Buk-System, das MH17 abgeschossen haben soll. Die US-Geheimdienste
legten nur kommerzielle Satellitenbilder vor, die aber nichts beweisen (Auch die
US-Geheimdienste präsentieren Vermutungen).
Was bleibt
von der Behauptung, dass ein russisches Buk-System aus Russland in die
Ostukraine gebracht und nach dem Abschuss wieder nach Russland gebracht worden
sein soll: Analysen von Bildern und Informationen aus dem Netz, besorgt von Bellingcat, und vom ukrainischen Geheimdienst SBU abgehörte
Gespräche, die bearbeitet sein und aus dem Kontext herausgerissen sein könnten.
Dazu Zeugen, die nicht im Gericht befragt werden können, weil sie um ihre
Sicherheit fürchten.
Die nächste Sitzung findet am 22. Juni statt. Die Staatsanwaltschaft verlangt,
dass die Verteidigung schon zuvor ihre Einwände mitteilt. Die Verteidiger bitten
um Geduld und erklären, dass sie bis dahin nicht alle Einwände vorlegen können.
Man sei durch die Coronavirus-Pandemie auch behindert
gewesen, zum Verdächtigen nach Russland zu reisen