NATO-Aggressionskrieg gegen Jugoslawien 1999 ( Chronik )

Es waren SPD und Grüne, die deutsche Soldaten vor 20 Jahren in den ersten Angriffskrieg seit 1945 schickten. jW erinnert in einem Tagebuch an Verantwortliche und Kriegsgegner in jener Zeitenwende. (jW)

Von Rüdiger Göbel
https://www.jungewelt.de/bibliothek/serie/800

Demoralisierung als Programm
Chronik eines Überfalls (Teil 33), 27.5.1999: Gewerkschafter gegen den Krieg in Belgrad. Mehr als 100 Tote nach NATO-Angriff auf Gefängnis

In Belgrad werden wegen der anhaltenden Angriffe der NATO auf die Infrastruktur die Wasservorräte knapp. In der Hauptstadt sind sie Ende Mai 1999 auf acht Prozent der üblichen Menge gesunken. Mit den Attacken auf lebenswichtige Versorgungseinrichtungen wie Elektrizitäts- und Wasserwerke versucht die Kriegsallianz, die Bevölkerung des Landes zu demoralisieren. Auch die Kommunikation über das Internet ist praktisch unmöglich geworden.
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Im Kosovo beginnen die Behörden damit, die überlebenden Häftlinge eines mehrfach bombardierten Gefängnisses in andere Haftanstalten zu verlegen. Die NATO hatte das Gebäude in Istok in den Tagen zuvor mehrere Male angegriffen. Nach Angaben von Radio Belgrad sind dabei mindestens 100 Menschen getötet worden, darunter auch zahlreiche Wachleute, mehr als 200 Häftlinge wurden verletzt. Aufgrund der anhaltenden Bombardements konnten anfangs keine Rettungskräfte zu Hilfe eilen. Mehreren Gefangenen soll die Flucht gelungen sein.
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In Bonn findet am 27. Mai 1999 die Konferenz »Bomben und Raketen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien: Der Terror des Krieges« statt. Die Veranstaltung soll der Vorbereitung eines internationalen Tribunals über den Krieg gegen Jugoslawien dienen, wie Organisator
Stefan Eggerdinger im Gespräch mit jW-Chefredakteur Holger Becker erklärt. Angst vor dem Vorwurf, für die jugoslawische Seite Partei zu ergreifen, haben die Veranstalter nicht. »Wir wollen diesen Vorwurf haben, wollen die dünne Mauer des Völkerrechtes, die zwischen uns und der Barbarei steht, aufzeigen«, so Eggerdinger.
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Seit dem 23. Mai
besucht eine deutsche Gewerkschaftergruppe Betriebe in Jugoslawien, um sich ein Bild von den Zerstörungen zu machen. Zu den zehn Teilnehmern gehören der Hamburger Schauspieler Rolf Becker und der Hannoveraner Journalist Eckart Spoo. jW dokumentiert in den folgenden Tagen ihre »Grüße aus dem Feindesland«.
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Die Grünen in Berlin-Prenzlauer Berg und Friedrichshain
sind enttäuscht angesichts mangelnder Kriegsbegeisterung. In ihrer Bezirkszeitung, die auf Einkaufsstraßen verteilt wird und in den Etablissements der Alternativszene ausliegt, machen sie auf der Titelseite »Kriegsmüdigkeit schon nach sechs Wochen« aus. Pazifisten seien nützliche Idioten, die sich zum Handlanger des jugoslawischen Präsidenten Milosevics machten.
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Die europäische Satellitenbetreibergesellschaft Eutelsat blockiert am 27. Mai 1999 um 18 Uhr
einen von der jugoslawischen Post angemieteten Übertragungskanal. Damit kann man sich in Europa auf diesem Wege nicht mehr über die Belgrader Sicht auf den Krieg informieren.
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Louise Arbour, Chefanklägerin des UN-Sondertribunals für das ehemalige Jugoslawien,
erhebt Anklage gegen Slobodan Milosevic und vier weitere serbische Führungspersönlichkeiten wegen »Kriegsverbrechen« und »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«. Über die NATO-Verantwortlichen wird sie im weiteren ihre schützende Hand halten.

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