Neuer Anlauf des ukrainischen Präsidenten Juschtschenko zur Einführung eines
autoritären Präsidentenregimes und seiner absoluten Machtergreifung
Von Dr. Hans-J.
Falkenhagen und Brigitte Queck
Der
ukrainische Präsident Juschtschenko beweist, wie man das Volk von 47 Mio.
Ukrainern umgarnen, mit „meine geliebten
Brüder und Schwestern“ ansprechen und ihm gleichzeitig den Strick drehen kann.
Eine „Glanzleistung“ der Volksverführung war seine „Ansprache an das
ukrainische Volk“, die er am 31. März
vor der Plenartagung des Parlaments (der Werchowna Rada) in Kiew bei
Anwesenheit fast aller hochrangigen Vertreter von Staat und Wirtschaft und des
diplomatischen Korps hielt. Juschtschenko zählte mit schwülstigen Worten auf,
was das Volk alles an Gutem zu verdienen hätte. Gleichzeitig verdammt er es in
Wirklichkeit zur Hölle. Immerhin sagt er klar, dass er, Juschtschenko, der
eigentliche Machtträger in der Ukraine sein will und dass die Reise für die
Ukraine westwärts in die EU und NATO zu führen hat. Schwülstige Phrasen, das
hat Juschtschenko gelernt. Umgeben mit einem Feuerwerk euphorischer und
euphemistischer Worte verkündete Juschtschenko ohne Vorinformationen eine Verfassungsreform, was international als Sensation bezeichnet wurde, aber im Grund nur ein Ziel haben soll, nämlich die
Machtabsicherung für ein autoritäres
Präsidentenregime und die endgültige Integration der Ukraine in das
westliche Bündnissystem. So verkündete Juschtschenko im Namen der nationalen
Unabhängigkeit und Freiheit der Ukrainer den Ausverkauf der Ukraine an die USA,
an die NATO sowie an das westliche Finanz- und Bankkapital. Juschtschenko und
seine ausländischen und inländischen Ratgeber haben offensichtlich erkannt,
dass ein solcher Unterwerfungsakt nur mit einem funktionierenden
Repressionsapparat gelingen kann. Man muss es Juschtschenko lassen: Er
beherrscht dabei das pathetische Spiel auf der Klaviatur der moralischen
Heuchelei und politischen Rattenfängerei. Wortreich tönte er, die Welt soll
wissen, wir sind ein freier Staat und ein freies Volk, um es mit der raffiniert kaschierten Absicht zu verbinden,
eben den selbigen ukrainischen Staat und das ukrainische Volk an den Westen zu
verhökern und zu verschachern. Er sparte auch nicht mit Andeutungen von Drohungen
der Gewaltanwendung gegen diejenigen, die es wagen sollten, sich seinen
„demokratischen Reformabsichten“ entgegenzustellen. Er begründet das u.a. mit
den Satz: „wir müssen die Stimme des Volkes wahrnehmen“. Dabei sprach er, um
sich bei den Volksmassen einzukratzen, auch durchaus Neidkomplexe an, indem er
Superprivilegierte und Superreiche der ukrainischen Gesellschaft allgemein
benennt und z. B. hohe Rentenbezüge von Bankern und Politikern anprangerte. So
verband er seine politischen Absichten mit dem Schein eines „hehren Kampfes
gegen Ungerechtigkeit und Korruption“, indessen er selbst in den Öl- und
Korruptionsskandal in der Ukraine verwickelt ist. Bei dem Anschluss der Ukraine
an das westliche Bündnissystem wurde Juschtschenko konkret. Zum Beispiel soll
zur politischen und wirtschaftliche Assoziation der Ukraine an die Europäische
Union noch 2009 eine Vereinbarung
unterzeichnet werden und der Beitritt zur NATO so schnell wie möglich
stattfinden. Dabei überschlug er sich auch mit Kotaus vor den USA als der
führenden Supermacht der Welt.
Kernpunkt der Rede des ukrainischen
Präsidenten war die Verkündung einer Verfassungsreform,
mit anderen Worten, die Einführung einer neuen
Verfassung in einem von ihm vorgestellten Verfassungsentwurf, die seinen persönlichen
Machtambitionen und den Erfordernissen der Zugehörigkeit zum westlichen
Bündnissystem entspricht. Sein Ziel ist es ganz offenkundig, das
Parlament zu entmachten. Dazu
soll ein Zweikammersystem der
Nationalversammlung eingeführt werden, die aus einer Abgeordneten-Kammer und
einem Senat bestehen soll. Die Abgeordneten-Kammer soll aus 300 in allgemeinen,
gleichen und geheimen Wahlen für vier Jahre gewählten Volksvertretern bestehen. Der Senat soll aus je drei Senatoren,
pro jeder territorialen Einheit (der Gebiete, der Autonomen Republik Krim, der
Hauptstadt Kiew und Gebieten gleichgestellter Städte) gebildet werden, die
über 35 Jahre alt sein müssen und die für 6 Jahre im Amt bleiben
würden. Es würden folglich nur die
Abgeordneten der Abgeordneten-Kammer auf Grund von Listen konkurrierender
Parteien in gleichen und geheimen Wahlen gewählt. Deren Rechte wären aber durch
sehr weitgehende Befugnisse des Senats und diktatorischer Befugnisse des
Präsidenten ausgehebelt.
Von
den jeweils drei Senatoren soll einer alle zwei Jahre neu bestimmt werden. Es
würde dann eine Art von
Rotationsverfahren in Kraft treten. Dem Senat sollen auch ehemalige
Staatspräsidenten angehören, außer denen, die durch ein Impeachmentverfahren
ihres Amtes enthoben worden sind. Die Autonome Republik Krim würde auf einen
Gebietsstatus heruntergestuft und ihr Autonomiestatus damit de facto aufgehoben
werden. Beschlüsse seiner Volksvertretung könnten dann sowohl vom
Staatspräsidenten als auch vom Senat, genauso wie die Beschlüsse von
Volksvertretungen der Gebiete, außer Kraft gesetzt werden. Offen blieben in Juschtschenkos Rede folgende Fragen: Wie sollen die drei Senatoren je
territorialer Einheit für 6 Jahre gewählt werden, wer würde die Kandidaten für
die Senatswahl aufstellen und wer würde den jeweils pro territoriale Einheit im
Zweijahresrythmus auszuwechselnden Senator bestimmen ? Es ist im neuen
Verfassungsentwurf nicht festgelegt, dass dies in eigenständigen demokratischen
Entscheidungsprozessen in den territorialen Einheiten erfolgen soll. Somit
ergibt sich die Schlussfolgerung, dass laut neuer Verfassung der
Staatspräsident und seine Entourage bestimmen sollen, wer in den territorialen
Einheiten für den Senat kandidieren darf. Der Senat würde somit zum
Erfüllungsgehilfen des Staatspräsidenten.
Beide
Kammern würden ein einheitliches Organ der Gesetzgebung bilden. Der Senat
könnte aber die von der Abgeordneten-Kammer beschlossenen Gesetze ablehnen. Das
Vetorecht des Präsidenten gegen Gesetze und Beschlüsse würde erheblich erweitert
werden, denn selbst wenn die
Abgeordneten-Kammer das Präsidentenveto mit Zweidrittel- und
Überzweidrittelmehrheiten überstimmen und damit ungültig machen würde, könnte
immer noch der Senat den Gesetzgebungsakt blockieren. Bezüglich von Beschlüssen
des Senats wäre zwar auch die Möglichkeit vorgesehen, ein Präsidenten-Veto mit
Zweidrittel- und Überzweidrittelmehrheit zu überstimmen. Das würde aber sehr
schwierig, wenn nicht unmöglich sein, da der Senat personalpolitisch de facto
der Präsidialdiktatur unterliegen würde.
Erlasse
(Ukase) des Präsidenten könnten unbegrenzt auf allen Gebieten herausgegeben
werden. Sie könnten weder von der Abgeordneten-Kammer noch vom Senat für
unwirksam erklärt werden. Anfechtbar wären sie pro forma nur durch eine Klage
beim Verfassungsgericht, dessen Zusammensetzung der Staatspräsident mit Hilfe
des Senats bestimmen würde. Mit dieser neuen Verfassung würde also eine
uneingeschränkt geltende übergeordnete Gesetzgebungsbefugnis des
Staatspräsidenten eingeführt werden.
Der
Abgeordneten-Kammer und dem Senat stünden lediglich das alleinige
Beschlussfassungsrecht über den Staatshaushalt zu. Über die Geld- und
Bankpolitik aber wiederum würde allein in letzter Instanz der Staatspräsident bestimmen, denn der würde den Staatsbankpräsidenten
(Zentralbankpräsidenten) samt der Staatsbankleitung ernennen, die nur dem
Staatspräsidenten rechenschaftspflichtig wäre. Juschtschenko würde sich dazu
nur formal die Zustimmung des Senats einzuholen brauchen.
Der
Senat würde mit weitergehenden
Befugnissen in der Personalpolitik ausgestattet und damit über die
Abgeordneten-Kammer gestellt werden. Er würde über die Wahl der
Abgeordneten-Kammer wachen, die Wahl und damit die Zusammensetzung der Regierung sowie das
Programm ihrer Tätigkeit bestimmen und die Kontrolle über die Regierung
ausüben. Desgleichen würde er über die personelle Zusammensetzung der
Gebietsorgane und Organe anderer territorialer Einheiten, auch der Autonomen
Republik Krim, bestimmen. Und er könnte die jederzeitige Entlassung des
Premierministers und der Regierung herbeiführen. Er dürfte auch die Wahl der
Gebietsvolksvertretungen einschließlich der Autonomen Republik Krim und der den
Gebieten gleichgestellten Städte, sowie der Gebiets- und Rayonräte und Räte
anderer lokaler Organe sowie u.a. die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts
billigen, sowie formal auch die Wahl des Staatspräsidenten bestätigen.
Der
ukrainische Präsident erhielte das
uneingeschränkte Recht, Abgeordneten-Kammerbeschlüsse und Regierungsbeschlüsse
außer Kraft zu setzen und sogar Senatsbeschlüsse aufzuheben, die Abgeordneten-Kammer aufzulösen und die
Regierung bzw. Regierungsmitglieder zu entlassen. Er könnte dann auch Neuwahlen
selbst festlegen. Während er nach der geltenden ukrainischen Verfassung nur den
Außenminister und Verteidigungsminister mit Zustimmung des Parlaments ernennen
kann, erhielte Juschtschenko nach der neuem Verfassungsentwurf de facto das
Ernennungsrecht für jeden Minister. Er
könnte dann gesamtukrainische Referenden zum Beispiel zu Verfassungsänderungen
anordnen und durchführen lassen.
Der Staatspräsident würde uneingeschränkt die Außenpolitik sowie die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der Ukraine leiten und wäre Oberkommandierender der bewaffneten Organe. Er würde auch über den Abschluss internationaler Verträge entscheiden. Juschtschenko stünde dem Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung vor, der in der Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik über der Abgeordneten-Kammer, dem Senat und der Regierung stehende Befugnisse hätte. Er würde die Vorsitzenden des Inlands- und Auslandsgeheimdienste, den Vorsitzenden und die Mitglieder der Zentralen Wahlkommission und den Vorsitzenden der Nationalbank (Zentralbank) bestimmen können. Die erforderliche Zustimmungen des Senats würden zur reinen Formalie, da der Staatspräsident offensichtlich auch auf seine Zusammensetzung einen entscheidenden Einfluss bekäme. Eine durch die neue Verfassung geforderte Zustimmung des Senats könnte in diesem Fall als gesichert gelten. Der Staatspräsident würde über die Einsetzung (Ernennung) von Vorsitzenden von Gerichten und sogar von Richtern bestimmen und mit nur formal gefordeter Zustimmung des Senats auch den Generalstaatsanwalt einsetzen. Von einer so genanten Unabhängigkeit der Justiz in der Ukraine könnte dann keine Rede mehr sein. Die Abgeordneten-Kammer erhielte außer der Regierung gerade noch das Recht zugestanden, den Vorsitzenden des Rechnungshofes, die Hälfte der Mitglieder des Rechnungshofs, sowie den Menschenrechtsbeauftragten zu wählen.
Der
Präsident erhielte z. B. das alleinige Recht, über den Aufenthalt ausländischer
Militärverbände auf ukrainischem Boden zu entscheiden. So könnte er, wie der
georgische Präsident Saakaschwili, NATO-Truppen schon vor einem offiziellen
Beitritt der Ukraine zur NATO ins Land rufen und auf ukrainischem Boden
stationieren, ohne das Parlament oder die Regierung um Zustimmung ersuchen zu
müssen. Sein Recht zur Auflösung gewählter Körperschaften würde zum Absolutum
erhoben werden. Ein Impeachmentverfahren gegen den Staatspräsidenten würde
mittels der neuen Verfassung durch bürokratische Hürden sozusagen unmöglich.
Die vom Volk zu wählenden Vertreter der Abgeordneten–Kammer wären nicht mehr
der oberste Souverän des Staates wie das gegenwärtige Parlament, sondern
machtlose „Volksvertreter“ in einem autoritären Präsidentenregime.
Das
bestehende Parlament hat im Anschluss an die Rede des Präsidenten, die er am
31. März hielt, am 1. April die
anstehenden ukrainischen Präsidentschaftswahlen mit 401 Stimmen von insgesamt
450 auf den 25. Oktober 2009 festgelegt. Begründet ist das mit dem Auslaufen
der verfassungsmäßigen fünfjährigen Amtszeit des Präsidenten Ende 2009. Die
letzte Oktoberwoche für die erste Runde der Präsidentschaftsneuwahl sieht auch
die noch geltende ukrainische Verfassung vor. Das wurde von Juschtschenko
diktatorisch als verfassungswidrig abgelehnt. Er hat auch keinen etwas verlagerten Wahltermin,
z. B. den 15. November oder Dezember, nicht einmal einen Termin bis zum 17.
Januar 2010 vorgeschlagen. Das könnte als Testversuch des ukrainischen
Präsidenten gegenüber dem ukrainischen Parlament gelten, seine von ihm
vorgelegte Verfassung, die noch gar nicht parlamentarisch beraten, geschweige
denn beschlossen ist, auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen anwenden zu
wollen.
Wird
das Parlament in Zukunft nicht tätig, könnten die Präsidentschaftswahlen, die Juschtschenko
nach dem jetzigen Umfragewerten haushoch verlieren würde, auf unbestimmte Zeit
verschoben und er somit weiter im Amt zu bleiben. Auch wenn der Präsident
durchsetzt, dass direkt in einem Referendum über die neue Verfassung unter
Ausschaltung der Werchowna Rada entschieden wird, würde das eine längere
Anlaufzeit benötigen. Das Referendum müsste dann etwa zeitgleich etwa mit der
Präsidentenwahl zusammenfallen.
Wie reagierte das Parlament auf den vom Präsidenten
vorgelegten neuen Verfassungsentwurf ?
Juschtschenko
desavouierte bereits in flagranter Art
und Weise die Werchowna Rada, die noch
am Mittwoch den 1. April ihre Sitzungsperiode beendete ohne neue
Plenartagungen anzuberaumen. Immerhin
gelang es ihr, noch 9 Gesetze zu beschließen und 7 Gesetzesprojekte auf den
parlamentarischen Weg zu bringen sowie zwei Gesetzesprojekte zur wiederholten
ersten Lesung an die Ausschüsse zu
überweisen. 12 Gesetzesprojekte wurden abgelehnt. Es wurden vom
Parlament aber weder ein neuer Außenminister anstelle des abgewählten Ogrizko
gewählt, noch wurde ein neuer Finanzminister anstelle des zurückgetretenen
Viktor Pinzenik gewählt.
Am
Freitag den 3. April 2009 hat sich der Vorsitzende der Werchowna Rada, (des als
oberster Rat bezeichneten ukrainischen Parlaments) Litwin in einer Erklärung gegen den Verfassungsentwurf Juschtschenkos gewandt und ihn als Versuch der
Aushebelung des ukrainischen Parlamentarismus bezeichnet, und viele andere
ukrainische Politiker haben das ebenfalls getan. Aber Staatspräsident Juschtschenko hat darauf schon am gleichen Tag reagiert. Am
3. April wurde seine Erklärung veröffentlicht, dass er das Parlament vorfristig
auflösen will. Er erklärte seine Absicht der Prüfung der Möglichkeit,
gleichzeitig vorgezogene Parlaments- und Präsidentschaftswahlen durchzuführen.
Dazu wurde das Bild des Staatspräsidenten mit dem Hintergrund von Militärs als
eine Art militärischer Drohkulisse veröffentlicht. So soll der vorhandene
Widerstand der demokratischen Kräfte der Ukraine offensichtlich eingeschüchtert
werden. Wahlen ohne funktionierendes Parlament als demokratisches Kontrollorgan
über den Ablauf der Wahlen würde der Wahlmanipulation bis zur Wahlfälschung Tür und Tor öffnen. Das würde
auch der Fall sein, falls noch ein Verfassungsreferendum vor- oder
zwischengeschaltet würde. So bestände die Möglichkeit, dass auch Juschtschenko
trotz seiner miserablen Umfragewerte auf Grund von Wahlmanipulationen und
Wahlfälschungen wiedergewählt wird und er dann auch gleichzeitig das erwünschte
„handzahme Parlament“ bekäme.
Man
kann also gespannt sein, ob sich die Werchowna Rada auseinanderjagen lässt oder
sich endlich mehrheitlich zu einem Amtsenthebungsverfahren gegenüber
Juschtschenko entschließt. Inzwischen ist über ukrainische Radio- und
Fernsehsendungen bekannt geworden, dass Protestwellen gegen Juschtschenko
überall in der Ukraine anlaufen.
Quellen:
entnommen unter www.rada.kiev.ua (Portal
von Parlament und Staatspräsident)