Wladimir Putin
im ARD-Interview
von Werner
Pirker
Weil
Rußland unter Präsident Wladimir Putin wieder als selbstbewußter weltpolitischer
Akteur auftritt und nicht wie in der Jelzin-Ära als bloßes Anhängsel des
westlichen Machtkartells, wird es schwerwiegender Verstöße gegen die
Demokratieauflagen der Weltordnungsmächte bezichtigt. Dabei war es Boris
Jelzin, der den authentischen russischen Parlamentarismus zerschlug und eine
präsidiale Selbstherrschaft begründete. Eine Selbstherrschaft, in der die
Oligarchen wie einst die Bojaren die Staatsmacht in ihren Besitz nahmen, was zu
deren Erosion führte. Aus westlicher Perspektive aber befand sich Rußland auf
bestem Weg zu Demokratie und Marktwirtschaft, zur »marktkonformen Demokratie«,
wie man heute sagen würde.
Putin stoppte die Privatisierung der Staatsmacht, entfernte die Oligarchen von
ihren politischen Machtpositionen – so war der vor kurzem verstorbene Boris
Beresowski, damals russisch-israelischer Doppelstaatsbürger, Vorsitzender des
Nationalen Sicherheitsrates – und schränkte die ungezügelte Vorherrschaft der
Ökonomie über die Politik ein. In den westlichen Metropolen hat ihn das nicht
unbedingt beliebt gemacht. Das bekam er nun auch in einem ARD-Interview, das
der WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn vor seinem Deutschland-Besuch mit ihm
führte, zu spüren. Putin, der die Zeiten der Wirren beendete, das große Land
von einem Spielball der Westmächte wieder zu einem würdigen Subjekt der Weltgeschichte
machte, sah sich wie gehabt dem Vorwurf ausgesetzt, kein »lupenreiner«, ja überhaupt
kein Demokrat zu sein.
Daß unlängst bei deutschen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen Razzien
durchgeführt wurden, wird von der veröffentlichten Meinung in Deutschland als
demokratiepolitischer Skandal wahrgenommen. Als ob es nicht hinlänglich bekannt
wäre, daß ausländische Stiftungen und NGOs sehr wohl Einfluß auf die politische
Entwicklung in Rußland – und nicht nur dort – zu nehmen versuchen. Erst vor
kurzem wurde auf eine polnische Initiative hin das »European Endowment for
Democracy« gegründet, das dem schlechten Beispiel des amerikanischen »National
Endowment for Democracy« folgend, »demokratische Prozesse« in Ländern wie Belarus,
der Ukraine und Rußland befördern will. Daß es sich bei der Demokratie, die sie
meinen, um keine souveräne, das heißt, auf nationaler Selbstbestimmung
beruhende, handeln soll, kann vorausgesetzt werden.
Im übrigen ist in Rußland die Finanzierung von NGOs aus dem Ausland nicht untersagt.
Das Gesetz, das vom amerikanischen »Foreign Agents Registration Act« fast
wortgleich abgekupfert ist, sieht lediglich vor, daß sich Organisationen, die
aus dem Ausland Geld erhalten, als »ausländische Agenten« registrieren lassen müssen.
Welchen Aufschrei es wohl gäbe, würde sich in Deutschland auch nur eine Handvoll
auf Regimewechsel spezialisierter »ausländischer Agenten« herumtreiben.
08.04.2013
Quelle: http://www.jungewelt.de/2013/04-08/043.php