Ukraine : Angriff auf Donbass
von Harald Projanski
Volksrepublik Donezk: Ukrainische Armee beschießt Wohngebiet und tötet
57-jährigen Zivilisten
https://de.rt.com/europa/116058-volksrepublik-donezk-57-jaehriger-wurde-durch-artilleriebeschuss-donezk-geteotet
Ukraine
wirft Russland angebliche "Provokationen" im Asowschen Meer vor
https://de.rt.com/europa/116061-ukraine-wirft-russland-provokationen-im/
Auszug des Artikels über den Donbass
in der Jungen Welt:
(…) Es gab
im Donbass seit dem Niedergang der Sowjetunion eine
breite Bewegung gegen den ukrainischen Zentralismus und Nationalismus. Im
November 1990, als sich der drohende Zerfall der Sowjetunion abzeichnete,
formierte sich eine »Internationale Bewegung des Donbass«.
Sie wurde zur Sammelbewegung der russischsprachigen Bewohner mit
unterschiedlicher ethnischer Herkunft und trat für eine Autonomie der Region
innerhalb der Ukraine ein. Die heutige rot-blau-schwarze Flagge der »Donezker Volksrepublik« geht darauf zurück.
Aus diesen regionalen Autonomiebestrebungen des russischsprachigen Donbass entstand 1997 die »Partei der Regionen«, geführt
vom zeitweiligen Gouverneur von Donezk und späteren Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Dass es sich dabei um gezielten Betrug an der
Bevölkerung handelte, zeigt ein Blick auf maßgebliche Akteure: Zu der in
bürgerlichen Medien als »prorussisch« abgestempelten Partei gehörte unter
anderem auch der spätere Präsident und Kriegsherr gegen den Donbass,
Pjotr Poroschenko. Insgesamt befand sich die nach
außen hin auf volksnah getrimmte Partei weitgehend in den Händen korrupter
Bürokraten und mit ihnen verbandelter »Businessmen«.
Doch verstand sie es geschickt, prorussische Wähler und Mitglieder zu täuschen.
Im Jahre 2010 gewann Janukowitsch – vor allem mit
Unterstützung der Bevölkerung im Südosten der Ukraine – die Wahl zum
Präsidentenamt. Einmal an der Macht, verriet Janukowitsch
schon bald seine Anhänger, denen er eine Föderalisierung der Ukraine und
Russisch als zweite Amtssprache versprochen hatte. In Wirklichkeit kümmerte er
sich vor allem darum, wirtschaftliche Ressourcen auszuplündern. Mit seiner
Flucht vor den Putschisten des Maidans Ende Februar
2014 hinterließ er ein politisches Vakuum.
Auch sein Regime hatte im Donbass jegliche
prorussische Regung unterdrückt. So gab es dort im Frühjahr 2014 zunächst nur
relativ kleine Gruppen von Aktivisten, die jedoch rasch breite Resonanz fanden.
Zu ihnen gehörte die 2005 gegründete Organisation »Donezker
Republik«. Diese Gruppierung, die jahrelang unter dem Druck der ukrainischen
Sicherheitsbehörden halblegal gearbeitet hatte, zählte in ihrem aktiven Kern
nur wenige Dutzend Mitglieder. Ihr führender Kopf war der Kleinunternehmer Andrej
Purgin, der politisch einen basisdemokratischen,
antioligarchischen Regionalismus repräsentiert. Purgin
vertrat 2014 in einem Interview mit einer Moskauer Zeitung die These, die
Bevölkerung im Donbass habe eine »regionale Identität
als ›Subethnie‹«. Diese sei »Teil der russischen Welt«. Zugleich sei der Donbass aber auch – vor allem wirtschaftlich – mit der
Ukraine verbunden. Historischer Bezugspunkt der neuen Bewegung war die 1918 im
Zuge der Oktoberrevolution entstandene Donezker Kriworoger Republik.
Nicht zufällig sammelte sich die Protestbewegung am Lenin-Denkmal im Zentrum
von Donezk, dessen Zerstörung Nationalisten angedroht hatten. Nach einer
Kundgebung von Tausenden von Gegnern der neuen Kiewer Macht am 6. April 2014
gelang es, die Gebietsverwaltung zu stürmen. Am Tag darauf proklamierten
Aktivisten, vor allem junge und enthusiastische Männer und Frauen von Anfang
zwanzig bis Mitte dreißig, dort die »Donezker
Volksrepublik«. Die »Partei der Regionen« hingegen war schnell verschwunden.
»Unsere Machtelite war wie ein Luftballon. Es machte ›bumm‹,
und sie war weg«, sagt Andrej Purgin. Nicht in Kiew,
sondern in Donezk fand tatsächlich eine Revolution statt, in deren Verlauf die
Oligarchen aus der Region vertrieben und ein echter Systemwechsel eingeleitet
wurde.
Rasch formierten sich auch Trupps von »Volksfreiwilligen«, die sich
bewaffneten. Während die »Donbass-Volksrepubliken«
der Ukraine Verhandlungen vorschlugen, entschloss sich die ukrainische Führung
zu einer »antiterroristischen Operation«, de facto einem Krieg gegen ihre
Bürger im östlichen Teil des Landes. Der am 14. April 2014 auf der Website des
ukrainischen Präsidenten veröffentlichte Entschluss zu dieser Operation war der
Auftakt zum Bürgerkrieg. Ab Anfang Mai 2014 setzte die Ukraine gegen das Gebiet
der »Volksrepubliken« Artillerie ein, auch in der umkämpften Stadt Slawjansk. Die Milizen der Donbass-Volksfreiwilligen
verfügten zu diesem Zeitpunkt nur über Handfeuerwaffen. Erst später
verschafften sie sich Panzer und Artillerie aus Russland. Insgesamt kamen bei
den Kämpfen seither mehr als 13.000 Menschen um, darunter auch zahlreiche
Zivilisten.
»Neurussland«
In russischen Darstellungen wird der Anteil der Bergleute an der Anti-Maidan-Bewegung oft übertrieben und ihre Beteiligung
romantisch verklärt. Es gab zwar Schachtarbeiter in den Reihen der
Volksmilizen, aber sie waren nie die dominierende Kraft. Politisch
vorherrschend waren eher Kleinunternehmer, Intellektuelle, zeitweilig auch
ergänzt um Kleinkriminelle, die nach etlichen kleineren Konflikten schließlich
von der Macht verdrängt wurden. Aber auch für linke Aktivisten gibt es bis
heute in den »Volksrepubliken« nur beschränkten Raum. Die Kommunistische Partei
der Donezker Volksrepublik und die von Andrej Purgin geführte Republikanische Partei werden zwar
geduldet, sind aber nicht offiziell als Parteien registriert. Purgin, bis September 2015 Vorsitzender des Volksrates (des
Parlaments des »Donezker Volksrepublik«), und der
KP-Vorsitzende Boris Litwinow wurden von der
Administration der Republik aus der Volksvertretung entfernt. Die Kommunisten
kritisieren die Halbherzigkeit der Führungsgruppe der Republik, die sich auch
in der Wirtschaftspolitik zeigt. So wurden Betriebe von Oligarchen zwar unter
staatliche Verwaltung gestellt, aber nicht enteignet. Auch Russland, das den
Haushalt der Republiken subventioniert, hofft noch auf Verhandlungen mit den
Kapitaleignern.
Kulturell ist der Donbass stark sowjetisch geprägt.
Seit Ende der zwanziger Jahre vollzog sich dort ein dynamischer Prozess der
Modernisierung und Urbanisierung. Die Einwohnerzahl von Donezk, das ab 1924 Stalino hieß, stieg von 105.000 Menschen im Jahre 1926
auf 462.000 im Jahre 1939. Menschen aus Dutzenden von Ethnien wuchsen in
den Metallbetrieben und Bergwerken des Donbass zu einer
multinationalen, aber russischsprechenden Arbeiterklasse zusammen. Die
Befreiung des Donbass von den Hitler-Truppen durch
die Rote Armee verstärkte in der Region die Identifikation mit der Sowjetunion
und der russischen Bevölkerung.
Dieses Selbstverständnis gewann neue Kraft, als die »Donezker
und Lugansker Volksrepubliken« am 11. Mai 2014 zu
einem Referendum aufriefen. Dabei stimmten im Donezker
Gebiet nach Angaben der Wahlkommission 89,7 Prozent für die staatliche
Eigenständigkeit und damit die Loslösung von der Ukraine. In langen Schlangen
reihten sich Wähler vor den Abstimmungslokalen ein. Sie ignorierten dabei
bewusst die Warnungen westlicher Politiker, auch des damaligen deutschen
Außenministers Frank-Walter Steinmeier, der das Referendum als »illegal«
bezeichnet hatte.
Bis heute wird der Begriff »Separatisten« zur Bezeichnung der
Unabhängigkeitsbewegung des Donbass bis weit in die
Linke hinein und auch in der Partei Die Linke verwendet. Separatismus
kennzeichnet gewöhnlich Kleinstaaterei. Es ist daher fraglich, ob es sinnvoll
ist, den Begriff bei Menschen anzuwenden, die sich dem größten Flächenland der
Welt als Staatsbürger anschließen wollen – und die inzwischen zu
Hunderttausenden dessen Bürger sind. Mehr als 400.000 Bewohner der »Donezker und Lugansker
Volksrepubliken«, die insgesamt etwa 3,6 Millionen Einwohner zählen, haben
inzwischen russische Pässe.
Welches Problem die Kiewer Machtelite mit dem Donbass
hat, zeigten die Wahlergebnisse bei den Lokalwahlen in dem von Kiew
kontrollierten Teil des Donbass im Oktober 2020.
Dabei erhielt die »Plattform für das Leben«, die für konstruktive Verhandlungen
mit Russland und den »Donbass-Volksrepubliken«
eintritt, in der Stadt Slawjansk 38,07 Prozent und in
der Hafenstadt Mariupol 30,69 Prozent. Beide Städte
hatten im Mai 2014 am Referendum der »Donezker
Volksrepublik« teilgenommen. Im Sommer 2014 waren sie von der ukrainischen
Armee erobert worden. Wer in der Ukraine Sympathien für die »Donezker Volksrepublik« erkennen lässt, muss mit Verhaftung
und Knast rechnen. So wurden 2015 in der Stadt Kriwoi
Rog vier Bürger zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt,
weil sie die Zeitung Noworossija (Neurussland)
aus Donezk verbreitet hatten, in der die Eigenstaatlichkeit der Ostukraine
propagiert wird.
Die Entfremdung der Bevölkerung in den »Donbass-Volksrepubliken«
von der Ukraine ist seit Beginn des Konflikts im Frühling 2014 deutlich
gewachsen. Neben Artilleriebeschuss, der immer wieder auch zivile Opfer
fordert, hat dazu auch die Anfang Dezember 2014 von
der Ukraine verhängte Finanz- und Wirtschaftsblockade beigetragen. Welche
Haltung sich darin ausdrückte, hatte der damalige Präsident Poroschenko
im November 2015 in einer Rede in Odessa deutlich gemacht. Dabei sagte er über
die Lage in den »Volksrepubliken«: »Bei uns gehen die Kinder in die Schule und
in den Kindergarten, bei ihnen sitzen sie im Keller.« Und er fügte hinzu: »So, genau so gewinnen wir den Krieg.« Dass diese von Hass und
Verachtung gegen die Bewohner des Donbass geprägte
Haltung kein Ausrutscher Poroschenkos war, bewies der
damalige ukrainische Kulturminister Jewgenij Nischtschuk
im November 2016. Der Westukrainer aus Iwano-Frankiwsk verkündete in einer
Fernsehdebatte, im Donbass und in der ostukrainischen
Stadt Saporoschje (Saporischschja)
gebe es »überhaupt keine Genetik« (er meinte ukrainische Gene). Die großen
Städte dort, so der Kulturminister, seien künstlich von der Sowjetunion
besiedelt worden. In deutschen »Qualitätsmedien« wurden diese Äußerungen aus
der ukrainischen Regierung nicht wahrgenommen.
In der »Donezker Volksrepublik« und auch in Russland
gab es nach 2014 lange Zeit die Hoffnung, die Ukraine würde durch die inneren
Konflikte mit Oligarchen und militanten Nationalisten »explodieren«. Dagegen
hatte Andrej Purgin bereits 2014 argumentiert, die
Ukraine sei »ein Sumpf, der höchstens blubbert und nicht explodiert«. Doch auch
der Zusammenbruch der »Volksrepubliken«, den die ukrainische Führung durch
Blockade und Beschuss erreichen wollte, fand nicht statt. Denn Russland sorgt
durch humanitäre Konvois mit Lebensmitteln und Medikamenten, mit Beratern und
Ausbildern dafür, dass das Leben in den »Volksrepubliken« weitergeht. So
festigte sich die Verbundenheit des Donbass zu
Russland.
Diese Verbundenheit dokumentiert auch ein umfangreiches Thesenpapier mit dem
Titel »Doktrin ›russischer Donbass‹«, das Ende Januar
in Donezk vorgestellt wurde. Der Text ist von Historikern und Politologen aus
dem Donbass und Russland in monatelanger gemeinsamer
Arbeit verfasst worden. Maßgeblich mitgearbeitet haben dabei junge Dozenten der
Historischen Fakultät der Donezker Universität. Das
Institut ist seit langem ein Zentrum der Unabhängigkeitsbewegung des Donbass, das die geistigen Waffen für den Widerstand gegen
Washington und Kiew schmiedet. In dem Manifest, das seither in der Region von
Hand zu Hand geht, wird das »Volk des Donbass« als
»untrennbarer Teil des russischen Volkes« definiert. Die Thesen beziehen sich
positiv auf die revolutionäre Geschichte des Donbass,
auf die Donezk-Kriworoger Republik, auf die Stachanow-Bewegung
sowjetischer Bestarbeiter im Bergbau und den Widerstand der kommunistischen
»Jungen Garde« gegen die nazideutschen Besatzer. Als Gegner benennt die Doktrin
den »westlichen Imperialismus« und die ukrainischen Nationalisten im Bunde mit
»oligarchischen proamerikanischen Kräften«.
Als aktuelle Forderung propagiert die Doktrin die »Errichtung der Kontrolle«
der »Volksrepubliken« »über das gesamte Territorum
der früheren Donezker und Lugansker
Gebiete«. Für die »Zukunft des Donbass«, heißt es da,
sei »das Schicksal der Nachbarregionen Neurusslands wichtig«. Das Ziel bestehe
laut den Thesen in der »Liquidierung des ukrainischen Staates in seiner
gegenwärtigen Form« und der »Schaffung eines russischen Staates als
Rechtsnachfolger der Ukrane«. Damit ist der Begriff
»Neurussland« für den Südosten der bisherigen Ukraine wieder in der Diskussion.
Wladimir Putin hatte diesen Terminus im April 2015 in einer Fernsehdiskussion
mit Blick auf die Geschichte in die Debatte gebracht. Vor dem Hintergrund der
jetzigen Donbass-Doktrin, die auch dem Kreml bekannt
ist, fällt eine Wortmeldung Putins vom Februar auf, als er in einem Gespräch
mit Moskauer Chefredakteuren sagte: »Wir lassen den Donbass
nicht fallen, egal, was geschieht.«
Mit dem Nordwind
In Donezk zweifelt kaum jemand daran, dass im Falle eines militärischen
Angriffs der Ukraine »der Nordwind wehen« würde, wie militärische Hilfe aus
Russland im Donbass umschrieben wird. Diskutiert wird
in Donezk wie in Moskau die Möglichkeit, die »Volksrepubliken« im Zuge der
Abwehr von Angriffen bis an die Verwaltungsgrenzen der Donezker
und Lugansker Gebiete auszuweiten. Die langfristigen
Erwartungen vieler Donbass-Bewohner an die Zukunft
fasste der Leiter der »Donezker Volksrepublik«, Denis
Puschilin, auf einer Pressekonferenz am 7. April
zusammen: »Ich bin mir sicher, dass die Stunde kommt, in der der Donbass wie die Krim nach Hause zurückkehrt.«
Die Ukraine verfügt sieben Jahre nach der Pseudorevolution des Maidan weder über das politische noch über das militärische
Potential, die »Volksrepubliken« des Donbass in ihren
Machtbereich einzufügen. Mehr noch, die Macht Kiews stößt auch in den von ihr
militärisch kontrollierten Gebieten des ukrainischen Südostens auf wachsende Gegnerschaft. Verlöre Kiew die Kontrolle über
diese Gebiete, empfänden viele Bewohner dies als Befreiung. Damit ist die
Kiewer Regierung trotz Betreuung aus Washington in einer strategisch
ungünstigen Lage. Der Blick auf die Geschichte des historischen Neurusslands
zeigt, wie es Russland bzw. zeitweilig der Sowjetunion in dieser Region immer
wieder gelang, die Ambitionen antirussischer Kräfte, ukrainischer Nationalisten
und ausländischer Interventen scheitern zu lassen: durch eine geschickt
dosierte Kombination aus politischer und militärischer Macht.
Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/400582.osteuropa-angriff-auf-donbass.html