USA - Folterpraxis aufgedeckt
Interview mit dem ehemaligen UN-Diplomaten
Hans-Christof von Sponeck
von
Eva-Maria Föllmer-Müller
Hans-Christof Graf von Sponeck (* 1939) war ein deutscher UN-Diplomat. Er
ist Sohn des von den Nationalsozialisten in der Folge des 20. Juli ermordeten
Generalleutnants Hans von Sponeck. Von 1968 bis 2000 war er an verschiedenen
Einsatzorten für die Vereinten Nationen tätig, zuletzt in Bagdad (Irak). Im
Februar 2000 reichte er seinen Rücktritt aus Protest gegen die Sanktionspolitik
des UN-Sicherheitsrates ein, die er verantwortlich für das Sterben mehrerer
hunderttausend irakischer Kinder sah. Die Petition: Stoppt die Folter ! finden Sie am Ende des Interviews.
Eva-Maria Föllmer-Müller: Herr von Sponeck, Sie haben,
gemeinsam mit Denis Halliday, anlässlich des kürzlich vom US-Senat
veröffentlichten Folterberichts die Petition "Stoppt die Folter!"
verfasst. Wie ist es zu dieser Petition gekommen, und was versprechen Sie sich
davon?
Hans-Christof von Sponeck:
Das muss man im Zusammenhang mit der Arbeit der Kommission für Kriegsverbrechen
sehen, die 2005 in Kuala Lumpur geschaffen wurde. Dort ging es von Anfang an
darum, Beweismaterial zu sammeln, Zeitzeugen zu interviewen, mit Opfern zu
sprechen, um festzustellen, inwieweit die Folterkonvention der Vereinten
Nationen und die Genfer Konventionen durch die Verantwortlichen von wichtigen
Organisationen und Regierungen, besonders in Washington und London, gebrochen
wurden.
Die Petition ist eine
Antwort, die sich auf die Aussagen der US-Senatorin Diana Feinstein aus
Kalifornien bezieht, die als Vorsitzende des Geheimdienst-Ausschusses des
US-Senats den Bericht über die Folterpraktiken der CIA vorgelegt hat. Aus dem
Bericht ergibt sich zwingend die Forderung, dass man diejenigen, die mit der
Politik der Folter zu tun gehabt haben, zur Rechenschaft zieht. Das ist bisher
weder vom amerikanischen Kongress noch von der US-Regierung noch von Präsident
Obama versprochen worden.
Welche Möglichkeiten haben andere Länder, wenn die USA
nicht darauf eingehen?
Sie haben jede Möglichkeit –
wenn man den Mut hat, das umzusetzen, was in den Verfassungen der einzelnen
Länder, besonders der europäischen, über die universelle Gerichtsbarkeit steht.
Die Kuala Lumpur Kommission für Kriegsverbrechen, zu der mein Vorgänger in
Bagdad, Denis Halliday, und ich gehören, hat über mehrere Jahre hinweg in
harter Arbeit Material erarbeitet und mit einer Vielzahl von Folteropfern, die
in Bagram, Abu Ghraib und Guantánamo inhaftiert waren, über Folter und ihr
grausames Schicksal gesprochen. Das detaillierte Beweismaterial wurde in zwei
Bänden vom ehemaligen Ministerpräsidenten Malaysias, Dr. Tun Mahathir,
persönlich an den Präsidenten des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag
geschickt. Die Antwort war erschütternd. Er bekam ein Schreiben: "Dear
Sir/Madam. Leider ist der Internationale Strafgerichtshof für einen solchen
Fall nicht zuständig." Man hat Dr. Mahathir nicht einmal die Ehre
erwiesen, die einem ehemaligen Staatsoberhaupt gebührt, dass man ihn richtig
anredet, man hat den Brief einfach als Standard-Schreiben zugeschickt.
Es ist eine kritische
Herausforderung, uns dafür einzusetzen, dass das Material, das so
offensichtlich beweist, welche Verbrechen begangen wurden, endlich
berücksichtigt wird.
Wer kann das Bild des Mannes
mit der schwarzen Kutte, des mit Elektroschocks gefolterten Satar Jabar aus Abu
Ghraib vergessen? Wir haben diesen Mann interviewt, wir haben mit ihm
gesprochen. Wir wissen aus erster Hand, wie er gefoltert wurde. Und wir wissen
auch, dass diese Folter nicht nur die entwürdigende Tat eines einfachen
Soldaten gewesen ist. Vorgehensweisen wie diese wurden von höchsten Stellen
gebilligt.
Wir wissen aus Dokumenten,
dass Leute wie der damalige Vizepräsident Dick Cheney, Donald Rumsfeld, George
W. Bush selbst, Condoleezza Rice, Paul Wolfowitz, diese ganze Kabale der
Kriegsverbrecher, so muss man sie nennen, da mitgespielt haben. Wir wissen
jetzt auch, viel überzeugender, nachdem wir diesen Bericht gelesen haben, dass
man nicht einmal seinen «Freunden» gegenüber ehrlich blieb. Wer kann vergessen,
was der Europaratsabgeordnete Dick Marty berichtet hat. Man hat ihn verhöhnt,
man hat gesagt, das sei dummes Zeug. Condoleezza Rice kam zu Frau Merkel nach
Berlin, und Frau Merkel sagte: "Wenn Sie mir sagen, dass die US-Regierung
mit den Renditions-Flügen und Folter nichts zu tun haben, dann glaube ich
Ihnen das."
Es wurde gelogen, und die
Lügen wurden akzeptiert. Man wusste auch in Berlin, in Brüssel, in London, man
wusste weltweit, selbst Personen, die als Beobachter am Rande standen, wussten,
dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, dass da unverfroren die Unwahrheit
gesagt wurde. Es ist ein Lichtblick, dass es nun diesen Bericht gibt. Der
Bericht über die Foltermethoden der CIA zeigt, dass wenigstens noch einige
kleine Gruppen existieren – die Motive spielen eine andere Rolle –, die
zumindest bereit sind, Einblicke in die Wahrheit zu geben. Das ist für uns eine
grosse Ermutigung. Wir appellieren an das Gewissen der Regierungen, aber
besonders an das Gewissen der Zivilbevölkerung, zu sagen: "Da machen wir
nicht mit."
Wie kann sichergestellt werden, dass nicht nur
diejenigen, die am Ende der Befehlskette sind, die "Kleinen", zur Rechenschaft gezogen
werden?
Unser Wunsch wäre, dass
Personen wie Bush und Blair dahin kommen, wo ein normaler Bürger, der sich so
vergangen hat, hinkommt, nämlich ins Gefängnis. Das wird unwahrscheinlich sein.
Aber ich glaube, dass Bush und Blair und die Schergen um die beiden herum, dass
sie schon lange im moralischen Gefängnis sitzen. Selbst wenn sie sich dessen
gar nicht so bewusst sind. Die Bewegungsfreiheit von Menschen wie Henry
Kissinger, Tony Blair und George W. Bush ist doch schon ziemlich eingeschränkt.
Sie wissen, was ihnen passieren kann, wenn sie sich zu frei in der Welt
bewegen. Das ist ein Teilerfolg.
Ich glaube, dass das Gewissen
auch bei diesen Menschen nicht tot ist. Sie merken die Reaktion, die sie nicht
erwartet haben, und ich glaube, das ist ein großer Schritt, der dem
Weltgewissen gelungen ist. Wir müssen weiter dahin wirken, dass irgendwo auf
der Welt ein Gericht willig ist, diese Fälle zu hören. Der Weltöffentlichkeit
muss vermittelt werden, dass dieser Frevel nicht nur in die Geschichtsbücher
gehört. Wir hoffen, dass die neue Chefanklägerin beim Internationalen
Strafgerichtshof, Fatou Bom Bensouda aus Gambia, das wieder aufgreift, was ihr
Vorgänger nicht getan beziehungsweise verhindert hat, nämlich sich dieses Falles
anzunehmen und endlich diesen Strafgerichtshof zu dem zu machen, was er sein
soll, nämlich ein Instrument der objektiven Justiz.
Die Petition geht unter anderem auch an die
UN-Generalversammlung. Welche Möglichkeiten gibt es auf der Uno-Ebene?
Die Generalversammlung kann
sich zu diesem Bericht äußern. Sie kann eine Resolution einbringen, aus der
hervorgeht, dass die Mehrzahl der 193 Mitgliedsstaaten zum Schluss kommt, dass
dieser Bericht wichtig ist und erforderliche Schritte eingeleitet werden müssen.
Das ist aber erst dann der Fall, wenn all jene, die verantwortlich sind, auf
allen Ebenen zur Rechenschaft gezogen werden. Das wäre eine wünschenswerte und
konkrete Reaktion der Generalversammlung auf diesen Bericht und auf die anderen
Berichte. Ich möchte hier noch einmal darauf hinweisen, was Persönlichkeiten
wie Dick Marty und andere, zu denen auch wir gehören, die Mitglieder der Kuala
Lumpur Kommission für Kriegsverbrechen, geleistet haben. Seit Jahren ist auf
diese Verbrechen hingewiesen worden, und wir können es jetzt verstärkt und
überzeugender darstellen, weil es eine offizielle inneramerikanische Stimme
gegeben hat. Die Generalversammlung, der Sicherheitsrat, vor allem auch der
Menschenrechtsrat in Genf können und müssen sich dazu äussern.
Was hat die Zivilgesellschaft, was haben die Bürger in
der Hand, um der Petition Nachdruck zu verleihen? Und welche Möglichkeiten
haben sie darüber hinaus?
Sie haben die Kraft des
Wissens, und durch die Kraft des Wissens haben sie die Kraft und die
Verantwortung, sich zu äußern, zu reagieren und damit die Möglichkeit, alle
Verantwortlichen wissen zu lassen, dass sie mit der Politik des
Doppelstandards, mit der -Politik der Lügen, mit der Politik der Egoismen, mit
der Politik der Allianzbildungen, mit der Politik gegen den Multilateralismus
nicht mehr einverstanden sind und dabei nicht mehr mitmachen wollen.
Der Bürger, der informiert
ist, hat eine Waffe des Friedens in der Hand. Diese muss er einsetzen, indem er
immer wieder darauf hinweist, dass der Doppelstandard nicht mehr akzeptiert
wird. Man kann nicht mit zweierlei Maß messen, wenn man die Politik von
Präsident Assad und die von anderen Diktatoren misst. Man kann nicht immer nur
mit dem Finger auf die zeigen, die man als Feinde betrachtet.
Der Bürger kann darauf
hinweisen, dass auch dort gefoltert wird, worüber bisher geschwiegen wird, das
heißt im Mittleren Osten, in Saudi-Arabien, in den Emiraten, in Katar. Alle
arabischen Golf-Diktaturen müssen mit anderen zusammen zur Rechenschaft gezogen
werden. Der Bürger muss heute viel mehr auf den Doppelstandard hinweisen. Er
muss viel mehr auf die Verpflichtung zur Rechenschaft hinweisen. Besonders bei
den Ländern, die sich herausnehmen, anderen zu sagen, wie man zu leben hat,
selbst aber kein moralisches Beispiel liefern zu dem, was sie predigen. Das ist
eine große Chance für die weltweite Friedensbewegung.
Vielen Dank, Herr von Sponeck, für das Interview.
(PK)
Petition: Stoppt die Folter!
Rechenschaftspflicht: Ja – Straffreiheit: Nein
Diese Petition geht an:
–
die US-Regierung
–
den Internationalen Strafgerichtshof
–
den Präsidenten der Uno-Generalversammlung
–
den Präsidenten des Menschenrechtsrats
–
den Europäischen Gerichtshof
Die Petition wurde initiiert
von zwei ehemaligen Beigeordneten UN-Generalsekretären und Koordinatoren für
humanitäre Fragen der Vereinten Nationen für den Irak, Hans-Christof von
Sponeck und Denis Halliday.
Am 9. Dezember 2014
veröffentlichte der US-Senat seinen CIA-Folterbericht:
Die Untersuchung hat
bestätigt, was seit vielen Jahren weltweit bekannt ist: Die US Central
Intelligence Agency [CIA] und aus den USA ausgelagerte nationale Behörden in
Europa, im Nahen Osten und an anderen Orten waren in einem beträchtlichen
Ausmass bei Anwendungen von Folter beteiligt.
Durch Untersuchungen des
Europaparlaments und nationaler Justizbehörden sowie durch zwei wichtige
Berichte über CIA-Geheimgefängnisse in Europa, dem Nahen Osten und anderswo,
die der Schweizer Europaratsabgeordnete Dick Marty 2006 und 2007 beim Europarat
eingereicht hat, wurden zwingende Beweise vorgelegt.
Der US-Senatsbericht macht
deutlich, dass grausame, entwertende und inhumane Behandlung von Gefangenen
durch die CIA und ihre Kollaborateure fortlaufend angewendet wurden. Eine
solche Behandlung ist in keiner Weise gerechtfertigt, auch wenn man den
Vorbehalt berücksichtigt, mit dem die US-Regierung die UN-Folterkonvention 1994
unterzeichnet hat.
Angestellte der CIA und
andere haben sich mutwillig an den Durchführungsverordnungen und Direktiven
beteiligt und haben somit die UN-Folterkonvention und die Genfer Konvention III
verletzt. Dadurch haben sie schwere Verbrechen verübt, für die sie zur
Verantwortung gezogen werden müssen.
Der UN-Sonderberichterstatter
für Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, Ben Emmerson QC, hat uns daran
erinnert, dass «Folter ein Verbrechen ist, das der universellen Gerichtsbarkeit
untersteht».
Der UN-Hochkommissar für
Menschenrechte, Zeid Raad al-Hussein, sagte, es sei völkerrechtlich
«sonnenklar», dass die Vereinigten Staaten, die die Uno-Konvention gegen Folter
von 1994 ratifiziert haben, jetzt die Pflicht haben, Rechenschaftspflicht zu
gewährleisten. Er fügte weiter hinzu: «Wenn sie Folter befehlen, ermöglichen
oder begehen, welche als schwerwiegendes internationales Verbrechen gilt,
können sie nicht einfach aus Gründen politischer Zweckmässigkeit Straffreiheit
garantieren».
US-Präsident Obama muss sich
im Klaren darüber sein, dass es, wenn er die Täter nicht zur Rechenschaft
zieht, ein Sieg für die Straffreiheit ist, und dies wird weitreichende Folgen
für die globale Sicherheit haben.
Wir, die Unterzeichner aus
allen Teilen der Welt, fordern daher von der US-Regierung und ihrem
Generalstaatsanwalt mit aller Dringlichkeit, ein gerichtliches Verfahren unter
Wahrung des Grundsatzes der Rechtsgleichkeit in Gang zu setzen.
Wenn sie dies nicht tun,
werden andere internationale Organisationen wie der Internationale
Strafgerichtshof gemäß Völkerrecht die Pflicht haben, sicherzustellen, dass dem
Recht genüge getan wird.
Quelle: www.brussellstribunal.org;
Die Adresse, um die
Petition zu unterschreiben, lautet:http://diy.rootsaction.org/petitions/stop-torture-accountability-yes-impunity-no
(Übersetzung Zeit-Fragen)
Hans-Christof von Sponeck und Denis Halliday waren
Beigeordnete Generalsekretäre und Koordinatoren für humanitäre Fragen der Uno
für den Irak. Beide, jahrzehntelange Mitarbeiter der Uno, traten wegen der
wirtschaftlichen Sanktionen zurück, die die Uno dem irakischen Volk auferlegt
hatten. Beide gehören der Kuala Lumpur Kommission für Kriegsverbrechen an, die
der ehemalige Ministerpräsident Malaysias, Dr. Tun Mahatir, 2007 als
Alternative zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ins Leben gerufen
hat. Die Kommission wurde gegründet, um Beschwerden von Kriegsopfern durch
Kriege und bewaffnete Konflikte in Bezug auf Verbrechen gegen den Frieden,
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere ähnliche
völkerrechtlich anerkannte Straftaten, zu überprüfen und zu überwachen.