Die Ukraine und die Wiedergeburt des Faschismus in Europa

von Paul Eric Dreitser  am 4.2.2014

 

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Bild: Sebastian Misseling, Freidenker Galerie

 

 

Die Gewalt auf den Straßen der Ukraine ist weit mehr als ein Ausdruck der Wut der Bevölkerung auf die Regierung. Sie ist das aktuellste Beispiel für den Aufstieg der heimtückischsten Form des Faschismus, den Europa seit dem Untergang des Dritten Reichs erlebt hat.

Seit einigen Monaten gibt es in der Ukraine Proteste der politischen Opposition und ihrer Unterstützer – scheinbar als Reaktion auf die Weigerung des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch, ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union abzuschließen, das von vielen politischen Beobachtern als erster Schritt zum EU-Beitritt gesehen wird. Die Proteste blieben bis zum 17. Januar größtenteils friedlich – bis sich Protestierende mit Schlagstöcken, Helmen und Molotowcocktails bewaffneten, mit brutaler Gewalt auf die Polizei losgingen, Regierungsgebäude stürmten und auf alle einschlugen, die sie für Anhänger der Regierung hielten; besonders auf den Straßen Kiews richteten sie schwere Verwüstungen an. Wer sind diese gewaltbereiten Extremisten, und welcher Ideologie hängen sie an?

Diese politische Sammelbewegung wird als "Pravy Sektor", das bedeutet Rechter Sektor, bezeichnet und setzt sich aus mehreren ultranationalistischen, rechtsextremen bis faschistischen Gruppierungen zusammen, darunter die "Svoboda-" oder Freiheitspartei, die "Patrioten der Ukraine", die "Ukrainische Nationalversammlung – Verteidiger der nationalen Unabhängigkeit" / UNA-UNSO und "Trizub" (
Dreizack). Diese Organisationen haben sich unter einer äußerst antirussischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Ideologie vereint. Außerdem verehren sie gemeinsam die so genannte "Organisation ukrainischen Nationalisten", die von Stepan Bandera, dem berüchtigten Nazi-Kollaborateur, gegründet wurde, der aktiv gegen die Sowjetunion gekämpft hat und an einigen der schlimmsten Gräueltaten beteiligt war, die im Zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten begangen wurden.

Während die politische Opposition weiter mit der ukrainischen Regierung verhandeln will, ruft die Rechte zum gewaltsamen Kampf in den Straßen auf. Mit der gleichen rohen Gewalt wie die "Braunhemden Hitlers" oder "die Faschisten Mussolinis" versuchen diese Gruppierungen einen wirtschaftspolitischen Loyalitätskonflikt in einen Machtkampf um das Überleben der Ukraine zu verwandeln, die sie als "Nationalisten" angeblich so sehr lieben. Die Bilder von den Bränden in Kiew, den Schlägertrupps in Lwiw (Lemberg) und dem zunehmenden Chaos im ganzen Land zeigen überdeutlich, dass die von den Demonstranten auf dem Maidan-Platz angestrebten Verhandlungen nicht mehr das Hauptziel sind. Eher geht es darum, ob die ukrainischen Faschisten siegen oder unterliegen werden.

Die USA haben bisher alle Oppositionellen unterstützt, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung. Anfang Dezember haben Vertreter des herrschenden US-Establishments wie John McCain und Victoria Nuland sogar die Protestierenden auf dem
Maidan-Platz besucht. Obwohl in den letzten Tagen der wahre Charakter großer Teile der Opposition sichtbar wurde, hat die herrschende Klasse der USA und anderer westlicher Staaten die Gewalttaten der Faschisten kaum missbilligt. Stattdessen haben sich Vertreter des Westens mit Vertretern der Rechten getroffen und diese als "ungefährlich" eingestuft. Mit anderen Worten, die USA und ihre Verbündeten billigen stillschweigend die Fortsetzung und Ausbreitung der Gewalt, weil sie hoffen, ihr eigentliches Ziel, den Regimewechsel, dadurch schneller erreichen zu können.

Bei dem Versuch, die Ukraine aus dem russischen Einflussbereich herauszubrechen, hat sich die Allianz aus USA, EU und NATO nicht zum ersten Mal mit Faschisten verbündet. In Lateinamerika ließen die USA jahrzehntelang Millionen Menschen von paramilitärischen
faschistischen Todesschwadronen entführen und umbringen. Um die Sowjetunion zu destabilisieren, wurden in Afghanistan mit Geld (und Waffen) aus den USA die extrem reaktionären Mudschahedin geschaffen, die später zur Al-Qaida mutierten. Auch in Libyen und neuerdings in Syrien wurden und werden extremistische Dschihadisten von den USA und ihren Verbündeten mit Geld und Waffen im Kampf gegen Regierungen unterstützt, die den USA und Israel nicht passen. Scharfsinnige politische Beobachter haben darin schon lange ein gleichbleibendes verstörendes Muster erkannt: Wenn sich dadurch geopolitische Gewinne erzielen lassen, machen die USA immer wieder gemeinsame Sache mit rechten Extremisten und Faschisten.

Die Situation in der Ukraine ist zutiefst beunruhigend, weil der politische Aufruhr das Land, das sich erst vor weniger als 25 Jahren aus der Sowjetunion gelöst hat, auseinanderreißen könnte. Das Aufkommen des Faschismus in der Ukraine hat jedoch noch einen anderen besorgniserregenden Aspekt – er drängt auch in anderen Staaten an die Macht.

Der Faschismus bedroht große Teile Europas

Das Erstarken des Rechtsextremismus in der Ukraine darf nicht isoliert gesehen werden. Es erfolgt im Rahmen eines Trends, der auch in anderen europäischen Ländern und in der ganzen Welt zu beobachten ist und die Fundamente der Demokratie bedroht.

Die strenge Sparpolitik, die Griechenland von der Troika IWF, EZB und EU-Kommission auferlegt wurde, hat die Wirtschaft gelähmt und eine Depression ausgelöst, die für dieses Land fast noch schlimmer ist, als die Weltwirtschaftskrise für die USA war. Vor allem deshalb ist die "
Goldene Morgenröte" zur drittstärksten politischen Partei Griechenlands geworden. Diese von einer Ideologie des Hasses geprägte faschistische Partei ist antisemitisch, fremden- und frauenfeindlich und wird von der Regierung in Athen als ernsthafte Bedrohung für den Zusammenhalt der Gesellschaft angesehen. Weil ein Anhänger der "Goldenen Morgenröte" einen antifaschistischen Rapper erstochen hat, ließ die griechische Regierung die Parteiführung verhaften. Athen hat ein Untersuchungsverfahren gegen die Partei eingeleitet, dessen Ausgang ist aber ungewiss.

Die offen faschistische "Goldene Morgenröte" ist deshalb so gefährlich, weil ihre Agitation gegen Europa und den harten Sparkurs im wirtschaftlich zerrütteten Griechenland sehr gut ankommt. Wie andere faschistischen Bewegungen im 20. Jahrhundert lenkt auch die "Goldene Morgenröte" die Wut der Bevölkerung auf Sündenböcke; sie macht besonders muslimische und afrikanische Einwanderer für viele Probleme der Griechen verantwortlich. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das Schüren irrationaler Ängste ein beliebtes Mittel, um von der Lösung wirklicher Probleme abzulenken. Die Führung der "Goldenen Morgenröte" wurde zwar inhaftiert, Mitglieder dieser Partei sitzen aber immer noch im Parlament oder kandidieren für öffentliche Ämter wie das des Bürgermeisters von Athen. Obwohl ein Wahlsieg unwahrscheinlich ist, wird schon ein besseres Abschneiden bei Umfragen die Zurückdrängung des Faschismus in Griechenland noch viel schwieriger machen.

Wenn dieses Phänomen auf Griechenland und die Ukraine beschränkt geblieben wäre, könnte man nicht von einem Trend sprechen, der den ganzen (europäischen) Kontinent zu erfassen droht. Unglücklicherweise ist jedoch überall in Europa ein Erstarken ähnlicher Parteien zu beobachten, auch wenn sie sich nicht so offen faschistisch gebärden. In Spanien hat die den Sparkurs durchsetzende
Volkspartei mit drakonischen Gesetzen die Demonstrations- und Redefreiheit eingeschränkt und lässt die Polizei hart durchgreifen. In Frankreich hat die Front National unter Marine Le Pen, die Muslime und afrikanische Einwanderer zu Sündenböcken macht, in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen fast 20 Prozent der Stimmen erhalten. Auch die ebenfalls gegen Muslime und Einwanderer agitierende Partei für die Freiheit in den Niederlanden ist zur drittgrößten Partei im Parlament geworden. In den skandinavischen Ländern spielen ursprünglich völlig bedeutungslose und obskure nationalistische Parteien bei Wahlen eine immer größere Rolle. Diese Tendenzen sind, gelinde gesagt, besorgniserregend.

Es sollte außerdem beachtet werden, dass die USA auch außerhalb Europas mehr oder weniger offen mit faschistoiden Gruppierungen zusammenarbeiten. So wurden die von der Rechten inszenierten Staatsstreiche gegen die Regierungen in Paraguay und Honduras mehr oder weniger offen von Washington unterstützt, denn die USA haben schon immer versucht, die Linke in Lateinamerika zu unterdrücken. Man sollte sich auch daran erinnern, dass die Protestbewegung in Russland von
Alexei Navalny und seinen nationalistischen Anhängern dominiert wird; als "europäische Russen" haben sie rassistische Vorurteile und fühlen sich Muslimen und anderen Einwanderern aus ehemaligen Sowjetrepubliken überlegen. Diese und andere Beispiele zeigen eine sehr hässliche Seite der US-Außenpolitik, die immer wieder versucht, auch wirtschaftliche Probleme und politischen Aufruhr zur Ausdehnung des Herrschaftsbereichs der USA zu nutzen.

In der Ukraine hat der "Rechte Sektor" den Kampf vom Verhandlungstisch auf die Straße verlagert; dort wird gerade der Versuch unternommen, den Traum von Stepan Bandera zu realisieren: eine Ukraine, frei von Russen, Juden und anderem "Unerwünschten".

Weil sie dabei auch von den USA und  ihren europäischen Verbündeten unterstützt werden, sind diese Fanatiker eine viel größere Gefahr für die Demokratie, als das Janukowytsch und seine pro-russische Regierung jemals sein könnten. Wenn Europa und USA die heraufziehende faschistische Gefahr nicht bald erkennen, könnte es wieder einmal zu spät sein.

Eric Draitser ist der Gründer der Website
http://stopimperialism.org/. Er lebt in New York und ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst. Seine E-Mail-Adresse lautet ericdraitser@gmail.com

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