Der vom Präsidenten entlassene Botschafter in Libyen, Wladimir Tschamow, über den

Verrat der Interessen Russlands

Interview zu den Materialien „MK“ vom 24. März 2011

 

In der Nacht zum 23. März  landete der skandalumwitterte Außerordentliche und Bevollmächtigte Botschafter Russlands in Libyen, Wladimir Tschamow, in Moskau.

Er gab der „MK“ ein Exklusivinterview.

Ungeachtet der späten Stunde (22.50 Uhr) seiner Ankunft aus Istanbul hatte sich eine beachtliche Menschenmenge auf dem Flughafen „Scheremetjewo 2“ versammelt. Außer den Jurnalisten waren zum Flughafen einfache Blogger geeilt, die über die Geschehnisse aus dem Internet erfahren hatten. Einige sogar mit Blumen.

Den Korrespondenten von „MK“ gelang es, nach der Landung des Flugzeuges, ein Interview zu erhalten.

Der Botschafter Tschamow hatte unerwartet für sich selbst nach seiner Entlassung aus dem Dienst am Vorabend der Abstimmung im Sicherheitsrat der UNO zur Resolution 1973, die den Bombardierungen Libyens „grünes Licht“ gab, Popularität erlangt.

Auf dem Hintergrund der unglaublich scharfen Bewertung der Tätigkeit anonymen Quellen aus dem Kreml zufolge ( er hätte in nicht adequater Form die Interessen Russlands im Libyenkonflikt vertreten, haben andere Informationsquellen, die im Internet vertreten sind, die Information über ein Kremltelegramm verbreitet, das an den Präsidenten gerichtet war und für das der Botschafter nun bezahlen sollte.

Der Blogger Detnix, unseren Recherchen zufolge Generalmajor ad des FSB

( Föderaler Dienst für Sicherheit ) hat Tschamow, nachdem er erfahren hatte, dass wir Libyen der „Weltgemeinschaft“ preisgeben wollen, an den Präsidenten ein Telegramm gesendet und  ihn einen Verräter genannt. „Es gibt bei uns noch wahre Männer ! Und solange sie leben, sind wir nicht verloren ! Dieser Mensch weiß sehr viel und er ist, wie man sieht, bereit , die Wahrheit zu sagen.“

Die offizielle Variante der Entlassung Tschamows bezeichnet ihn „als inkompetent“ . Er habe demzufolge  angeblich  „nicht adequat die Interessen Russlands im Libyenkonflikt vertreten“.

Erinnern wir uns, dass Wladimir Tschamow vor Libyen während der heißesten Jahre

( 2004-2008 ) im Irak gearbeitet hatte. Für die Arbeit im Irak wurde Tschamow mit dem Orden für Tapferkeit ausgezeichnet. Als zweieinhalb Jahre später Tschamow nach Libyen fuhr, haben seine Freunde gespottet „ Du suchst Dir schon Länder aus!“ Nun, Du wirst Dich ein wenig erholen und im Meer baden“. Und jetzt erschien die Information, dass der Außerordentliche Botschafter Tschamow nicht nur entlassen, sondern aller Dienstgrade enthoben und aller Auszeichnungen verlustig gegangen ist.

Den Korrespondenten von „MK“ gelang es gleich nach der Landung von Wladimir Tschamow ein Interview mit ihm zu machen :

-         Wie schätzen Sie Ihre Entlassung ein ?

-         Ich werde die Handlungsweise des Präsidenten nicht kommentieren.

-         Sie  schickten Dmitrij Medwedjew ein Telegramm, in dem Sie ihn einen Verräter nannten.

-         Nein, einen solchen Inhalt hatte es nicht.

-         Welchen Inhalt hatte es ?

-         Ich sendete ein Telegramm, in dem ich unterstrich, dass ich in Libyen die Interessen Russlands vertrete. Unsere Länder waren auf enge Zusammenarbeit ausgerichtet und es entspricht nicht den Interessen Russlands, einen solchen Partner zu verlieren. Die russischen Industrieunternehmen haben für einige Jahre im voraus sehr vorteilhafte Verträge für 10 Milliarden Euro abgeschlossen, die sie verlieren könnten und die sie schon verloren haben. Das kann man in bestimmter Weise als Verrat der Interessen Russlands bezeichnen.

       

      -    Der Führer der Dschamahirja Gaddafi unterdrückte sein Volk und wahrscheinlich

            war eine diesbezügliche wirtschaftliche Erwägung nicht angebracht?

-         Von welcher Unterdrückung sprechen Sie, wenn in Libyen den Bürgern ein

      zinsfreier 20-jähriger Kredit für den Hausbau gewährt wurde, der Liter Benzin

      10 Cent ( 3 Rubel auf unser Geld umgerechnet) kostete, also fast überhaupt

      nichts, man einen neuen koreanischen Jeep des Typs KIA für ganze 7,5

      Tausend Dollar kaufen konnte ? Jetzt gibt es dieses Land nicht mehr.

-          Aber es gab die Information, dass Gaddafi friedliche Demonstranten

       erschossen hat !

-          Damit muss man sich selbstverständlich speziell befassen. Eine internationale

 Untersuchungskommission sollte zu unabhängigen Untersuchungen führen.

            Gaddafi hat diese Kommission zugelassen.

 Aber an dem Tag, als diese eintreffen sollte, begann das Bombardement.

             Man hat ihr nicht gestattet, die Arbeit zu beginnen. Wenn Gaddafi Tausende

  friedliche Demonstranten erschossen hat, muss man die Kommission das

  beweisen lassen können !

-           Haben Sie sich mit Gaddafi getroffen ?

-           Ja. Wir haben uns ziemlich oft getroffen. Er hat mich, den indischen und

        chinesischen Botschafter vor einer Woche eingeladen und bat uns, die

        Position unserer Länder zu erkunden.

-           Welchen Eindruck hat bei Ihnen Gaddafi hinterlassen ?

        Verzeihen Sie die Frage: ist er ein kluger Mensch ?

-            Ja, auf jeden Fall.

-            Erscheint er Ihnen nicht extravagant ?

-            Aber das drückt sich nicht in seinen, für die Arbeit notwendigen, Qualitäten

        aus .Man darf nicht vergessen, dass dieser Mann in den 70iger Jahren während

   der Zeit der Libyschen Revolution das amerikanische Militär von der Küste

   Libyens mit seiner Militärbase Ulusfind verjagt hat. Das können sie

   ( die USA) bis heute nicht verzeihen. Gaddafi verhält sich absolut der Lage

   entsprechend.

   Als wir uns das letzte Mal trafen, war er ruhig und verstand, was zu tun ist.

-            Wie lange kann sich das Regime Gaddafi halten ?

-            Drei-vier Monate. Genau so lange, wie die Lebensmittelvorräte reichen.

         Gegenwärtig sind alle Lieferungen aus der Luft und vom Meer blockiert.

-            Sie denken, dass es einen langwierigen Krieg wie im Irak in Libyen nicht

         geben wird ?

-            Ich glaube nicht.

-            Wie werden sich Ihrer Meinung nach die Ereignisse weiterentwickeln ?

-             Ich fürchte, dass nach Libyen sehr schnell Syrien ins Kreuzfeuer gerät und

         dann auch  andere Staaten Asiens.

-            Und trotzdem, was war der Grund Ihrer Abberufung ?

-             Alles steht in dem Erlass. Die Details kenne ich selbst nicht. Das werde ich

          jetzt erfahren. In vielem halte ich die Entscheidung des Präsidenten für

          richtig. Und zwar aus folgenden Gründen: Wenn ein Krieg ausgebrochen

          ist, wenn man Menschen tötet, dann haben die Diplomaten ausgespielt.

          Die Diplomaten müssen für den Frieden kämpfen. Das sind vernünftige

          Begründungen.

-             Hätte Russland den Krieg aufhalten können ?

-             Allein schwerlich. Da wäre eine Block notwendig gewesen mit China,

          Indien....

-             Sie meinen, dass Russland sein Veto hätte einlegen können ?

-             Das ist nicht meine Sache. Das ist eine Angelegenheit der UNO.

-             Worüber haben Sie noch nach Moskau geschrieben ?

-             Ich habe das berichtet, was mir die libysche Regierung mitgeteilt hat, die

          mich beständig anrief. Leider entwickelt sich die Situation zum schlimmsten

          Szenario. Die Flüge werden verschärft. Am 1. Tag wurden 48 Menschen

          getötet. Und alles spitzt sich zu. Die Residenz Gaddafis befindet sich im

          Zentrum der Stadt und ist von Wohnhäusern umgeben. So sind Opfer

          unausweichlich.

-              Putin nannte die Handlungen der Koalition einen „Kreuzzug“. Sind Sie

          einverstanden mit dieser Feststellung ?

-             Wladimir Wladimirowitsch hat, was mir besonders an ihm gefällt,

          eine sehr klare, kurze und umfassende Aussage getroffen. Hier ist er, glaube

          ich, der Wahrheit sehr nahe gekommen.

Ps: Der Ex-Botschafter Russlands in Libyen, Wladimir Tschamow, dem man dieser Tage von seinem Diplomatenposten abberufen hat, setzt seine Tätigkeit im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten fort.

 

Übersetzung : Brigitte Queck